Eröffnungsrede zur neunten TIGE-Konferenz von Sunil Mathur, CEO von Siemens Ltd India

Geschäftsführer von Siemens Ltd Indien unterstreicht die Notwendigkeit einer werteorientierten Unternehmenskultur

01/07/2015
Sunil Mathur

Von Esme McAvoy

Sunil Mathur, Geschäftsführer und Generaldirektor von Siemens Ltd Southeast Asia, eröffnete die diesjährige Konferenz „Vertrauen und Integrität in der Weltwirtschaft“ (TIGE) der ‚Initiativen der Veränderung‘ und sprach bei diesem Anlass über den Weg seines Unternehmens durch eine schwere Korruptionskrise, die fast das gesamte Unternehmen lahmzulegen drohte.

Siemens konnte sich allerdings überraschend gut von der Krise erholen und nahm sie als eine Möglichkeit wahr, grundlegende und werteorientierte interneVeränderungen durchzuführen. Heute wird Siemens von Dow Jones im Bereich  Konformität weltweit als Nummer 1  eingestuft.

Für Mathur sind die Themen der diesjährigen TIGE-Konferenz „so aktuell wie nie zuvor“. Obwohl er seit 25 Jahren in verschiedenen Bereichen für Siemens aktiv ist, war auch er nicht auf die Enthüllungen des Korruptionsskandals vorbereitet, dem sich Siemens 2006 stellen musste. Korruptes Verhalten, wie zum Beispiel Bestechungen beim Abschluss von  Geschäftsverträgen, war bei Siemens anscheinend an der Tagesordnung: „Diese Neuigkeit war für uns alle völlig unerwartet. Zu dem Zeitpunkt arbeitete ich in Grossbritannien und wir waren alle fassungslos. Plötzlich hatten wir die Börsenaufsichtsbehörde SEC (Security and Exchange Commission) und die deutschen Behörden am Hals. Es war das Letzte, mit dem  wir in einer grossen und angesehenen Firma wie der unseren gerechnet hätten.“

Ethische Werte waren schon immer zentraler Teil der Unternehmensphilosophie von Siemens. Der Firmengründer hatte vor mehr als einem Jahrhundert verkündet, er würde die Zukunft nicht für schnelle Gewinne verkaufen. Bei vielen der bedeutendsten Projekte von Siemens geht es darum, die Lebensqualität von Menschen weltweit zu verbessern, sei es beim Entwurf von sogenannten „smart cities“ (Intelligenten Städten) oder aber beim Entwickeln hoch technologischer Lösungen für Verbesserungen im Gesundheitswesen und für Energieeffizienz.  Was aber genau war also schiefgelaufen?

Für Mathur war es, so seltsam dies klingen mag, vor allem die starke Zunahme an Richtlinien und Vorschriften, die zum korrupten Verhalten vieler führte. „Wir hatten Richtlinien, Vorgaben und festgesetzte Prozeduren für alles! Doch durch die ganzen Richtlinien und Prozeduren hatten wir unseren inneren Kompass verloren. Unsere Werte wurden zwar schriftlich festgehalten, aber sie wurden im Firmenalltag nicht umgesetzt.“

Es war wichtig, dass die Unternehmensleitung von Siemens ehrlich und offen auf die Krise reagierte: „Wir haben Fehler gemacht, und nun müssen wir diese auch wieder gutmachen.“ Laut Mathur war vielen allerdings unklar, was dies genau zu bedeuten hatte. Der gesamte Vorstand von Siemens trat zurück und zum allerersten Mal war die Firma sechzig Tage lang ohne wirklichen Leitung. Ein Hauptkriterium für die Ernennung des neuen Geschäftsführers war, dass er nicht aus der Firma stammte und er versprach: „Nur saubere Geschäfte sind von nun an Siemens-Geschäfte.“

Währenddessen wurden an neuen weltweiten Abkommen für die Grauzonen der Kundenbeziehungen und Auslagen gearbeitet. Geschäftsessen wurden  unverzüglich verboten und jegliches Sponsoring wurde gestoppt. Mathur gibt zu, viele seien der neuen Vorschrift gegenüber skeptisch gewesen: „Der Verkaufsstab dachte, wir seien nun komplett durchgedreht. Sie meinten: ‚Wie kann man das Vertrauen der Kunden gewinnen, wenn man nicht mit ihnen essen gehen oder ein Cricketspiel anschauen kann?‘“

Anstatt einer Vielzahl von festgesetzten Prozeduren und Vorschriften liegt nun das Hauptaugenmerk bei Siemens auf individuellen Entscheidungen. Der Einzelne soll aufgrund der persönlichen Integrität selber einschätzen können, wie vorzugehen ist. Die Firma hat einen Katalog aus vier einfachen Fragen zusammengestellt, an denen sich ein Angestellter orientieren kann, bevor eine Entscheidung getroffen wird, wie z.B.: „Ist es das Richtige für Siemens? Steht es mit den Werten von Siemens und meinen eigenen in Einklang?“ Und vor allem: „Kann ich dafür die Verantwortung übernehmen?“ Diese einfache, aber effektive Art der Selbstbefragung schafft Vertrauen in einer Organisation und ermöglicht es Menschen, Entscheidung zu treffen, die sich stärker an ethischen Werten orientieren.

Die intensiven Untersuchungen und nachfolgende Umsetzung der Veränderungen waren schmerzend, kostspielig und zeitintensiv für Siemens, aber auch unglaublich effektiv. Innerhalb einer Rekordzeit von nur 18 Monaten wurden Vereinbarungen mit den Behörden getroffen und die Firma durfte weiterhin öffentliche Aufträge annehmen. Zudem zahlte Siemens zwei Milliarden Euros Bussgelder und Anwaltskosten, doch die Firma wurde mehrfach von Regulierungsinstitutionen für ihre Sanierungsmühen gelobt. Die wahre Anerkennung für das Unternehmen war allerdings im Jahr 2009 seine hohe Einstufung im Dow Jones Sustainability Index, als Siemens zur Nummer eins in der Kategorie Konformität und Risikomanagement gekürt wurde, eine Position, die die Firma seither voller Stolz jedes Jahr neu aufrechterhalten kann – eine beeindruckende Leistung für ein Unternehmen, das drei Jahre zuvor einen schweren Korruptionsskandal durchleben musste.

Seitdem gibt Siemens seine Erfahrungen im Bereich Konformität und der Durchführung werteorientierter Veränderungen an andere grosse Unternehmen weiter. „Es geht nun nicht mehr nur um Resultate, es ist jetzt wichtiger, wie man diese Resultate erreicht.“, meint Mathur. „Vorgaben und Richtlinien innerhalb der Firma stossen an Grenzen. Ein gutes Wertesystem ist viel wichtiger. Einzelpersonen, die ihr persönliches Wertesystem in ihre Arbeit integrieren, können in jeder Organisation wichtige Veränderungen erreichen, egal, wie gross diese sein mögen. Denn auch grosse Türen hängen an kleinen Türangeln.“

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