Demokratie: eine Frage der Wahl und der Mitsprache
Genfer Demokratiedialog: Was verstehen Sie unter Demokratie?
11/10/2024
„In einer Demokratie trägt jeder und jede von uns die Verantwortung, sich zu engagieren, zuzuhören und einen Beitrag zu leisten. Es geht um mehr als ein politisches System. Es geht um Wahlmöglichkeiten und Mitspracherecht. Wie denken Sie darüber?“
Mit diesen Worten eröffnete Moderator Ignacio Packer, Geschäftsführer von Caux Initiativen der Veränderung, am Mittwoch, dem 9. Oktober 2024, den zweiten Genfer Demokratiedialog zum Thema "Was verstehen Sie unter Demokratie?", bevor er das Wort an die Referenten, Referentinnen und Teilnehmenden für eine anregende Diskussion übergab.
Die Veranstaltung wurde von Caux Initiativen der Veränderung, der Kofi Annan-Stiftung, dem Geneva Graduate Institute und der Geneva Democracy Week organisiert.
Christine Lutringer, Geschäftsführerin des Albert Hirschman Centre on Democracy (Geneva Graduate Institute), begrüsste das Publikum, das sich aus allen Altersgruppen und verschiedenen Sektoren Genfs zusammensetzte, wie z. B. ständige Missionen, UN-Organisationen, NGOs und Studierende.
Eine der Rednerinnen und Redner war Dilara Bayrak (27), die zum zweiten Mal Mitglied des Grossen Rates von Genf ist. Sie sprach über ihre Erfahrungen in der Schweizer Politik als junge Frau mit Migrationshintergrund und wies auf die mangelnde Vielfalt im Parlament und in den Debatten hin. Angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung in der Schweiz äusserte sie zudem ihre Besorgnis über eine gewisse „Apathie“ unter den Schweizer Wählenden und forderte die Menschen auf, „die Veränderung von innen heraus zu sein und Wellen zu schlagen. Verharren Sie nicht in der Bequemlichkeit eines gut geölten Systems.“
Yanina Welp, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Albert Hirschman Centre on Democracy, präsentierte die wichtigsten Ergebnisse ihrer Forschung zur Beteiligung junger Menschen an demokratischen Prozessen in ganz Europa, wie z. B. die Hindernisse oder Motivationen, die ihre Beteiligung beeinflussen, und Strategien, die sich bei der Förderung einer stärkeren politischen Beteiligung junger Menschen als erfolgreich erwiesen haben. Sie erklärte, dass junge Menschen sich lieber mit kontroversen gesellschaftlichen Themen befassten als mit Wahlpolitik und bereit seien, systemfeindliche politische Parteien zu unterstützen. Die gebürtige Argentinierin sprach auch über ihre persönlichen Erfahrungen mit verschiedenen Regierungsformen und erklärte, dass der Kontext eine Rolle spiele, wenn man die Herausforderungen der Demokratie betrachte.
Martin Penov, Vizepräsident der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF), sprach über den Zustand der Demokratie in seinem Land, Bulgarien, das zum siebten Mal innerhalb der letzten drei Jahre zur Wahl geht. Obwohl nur ein Drittel der wahlberechtigten Bevölkerung an den Urnen erschien, beteiligten sich 49 % der jungen Menschen an der Wahl. Er erklärte, dass die Demokratie in seinem Land noch jung sei, und betonte, wie wichtig es sei, die Menschen davon zu überzeugen, dass es sich lohne, für dieses System zu kämpfen: „Wenn wir es vermasseln, bekommen wir vielleicht keine zweite Chance.“
Botschafter Nasir Ahmad Andisha, Ständiger Vertreter Afghanistans bei den Vereinten Nationen, wies darauf hin, dass Demokratie kein Luxus sei: „Sie ist lebensnotwendig wie die Luft. (...) Sie ist wie eine Fackel, die den Weg erhellt.“ Er erklärte, dass diese Fackel in seinem Land derzeit fallengelassen worden und erloschen sei, äusserte aber die Hoffnung, dass sie wiedergefunden und neu entfacht werden könne.
Declan O'Brien, Leiter der Abteilung für Demokratie und multilaterale Programme bei der Kofi Annan-Stiftung, betonte die Zusammenhänge zwischen Demokratie und Multilateralismus: „Wenn wir ernsthaft über die SDGs sprechen wollen, müssen wir auch hier in Genf mehr über Demokratie sprechen.“ Er betonte auch, wie wichtig es sei, jungen Menschen Plattformen für den generationenübergreifenden Dialog zu bieten. Er erklärte, wie die Kofi Annan-Stiftung einen Peer-to-Peer-Ansatz nutzt, um junge Menschen auf der ganzen Welt zu unterstützen: „Junge Menschen mögen von den Systemen frustriert sein, aber sie sind nicht apathisch.“ Er wies darauf hin, dass in einigen Ländern junge Menschen bis zu 70 % der Bevölkerung ausmachten, und betonte, dass Demokratie nicht funktionieren könne, wenn sie von diesem Prozess ausgeschlossen werden: „Wir müssen auf ihre Sicht der Demokratie eingehen. Gehen Sie dorthin, wo sie sind, und finden Sie heraus, welche Mechanismen für sie funktionieren!“
Am Ende der Veranstaltung wurden alle Teilnehmenden gebeten, die Bedeutung von Demokratie in ihrem eigenen Leben aufzuschreiben. Hier sind einige der Ergebnisse:
- „Demokratie bedeutet integrative Beratung und Schutz der Menschenrechte.“
- „Demokratie ist eine endlose Reise und ein endloser Kampf, sie hat endlose Rückschläge, aber sie muss weitergehen.“
- „Demokratie bedeutet: Zustimmung, Vertretung, Beteiligung, Gleichheit.“
- „Demokratie bedeutet die Verantwortung, sich zu engagieren, zuzuhören und einen Beitrag zu leisten.“
Trotz der Herausforderungen, mit denen die Demokratie derzeit konfrontiert ist, wurde nachdrücklich dazu aufgerufen, in Demokratie zu investieren. Dilara Bayrak sagte: „Tragen Sie zur Bereicherung der Demokratie bei, binden Sie junge Menschen ein und beseitigen Sie Vorurteile.“
Ariadna Pop, Leiterin der Sektion Demokratie im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, erklärte: „Die der Demokratie zugrunde liegenden Werte sind der Schlüssel, um die Sichtweise zu ändern und die Jugend zu engagieren. Freiheit, Gleichheit, Vielfalt und Inklusion – das ist es, was nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz junger Menschen anspricht.“
Und eine junge Teilnehmerin aus Deutschland fasste zusammen: “Demokratie ist mehr als eine Staatsform – sie ist eine Lebensweise.“
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Die Genfer Demokratiedialoge sollen offene, integrative und fundierte Diskussionen über Herausforderungen für die Demokratie ermöglichen, Zusammenarbeit und Innovation fördern und umsetzbare Empfehlungen generieren.
Sie sind Teil des umfassenderen dreijährigen Programms von Caux Initiativen der Veränderung zur „Erneuerung der Demokratie in Europa und der Welt“, einschliesslich des Caux Forums für Demokratie im Juli 2024.