Der Zukunft eine Stimme geben
Interview mit Rebecca Freitag, German UN Youth Delegate for Sustainable Development from 2017 to 2019
29/06/2020
Zwei Jahre lang hat sich Rebecca Freitag (28) als deutsche UN-Jugenddelegierte für Nachhaltige Entwicklung (2017-19) bei den Vereinten Nationen für die Interessen ihrer Generation stark gemacht. Rebecca lebt in Berlin und studiert Integrated Natural Resource Management. Als Kind und Jugendliche war sie mit ihrer Familie oft in Caux und nahm 2012 am Caux Interns-Programm teil.
Rebecca, die zwei Jahre als deutsche UN-Jugenddelegierte waren vollgepackt mit Begegnungen und neuen Erfahrungen. Wie würden Sie diese Zeit in fünf Stichworten beschreiben?
#FridaysforFutureInternational
#Utopias
#MerkelSelfie
#smallactionsmatter
#changeisnow
Was hat Sie dazu bewogen, sich für dieses Mandat zu bewerben und woraus bestand Ihre Arbeit?
Die heutigen politischen Entscheidungen sind in meinen Augen zu kurzfristig gedacht und daher nicht nachhaltig genug. Dies geht zu Kosten der jungen und zukünftigen Generationen, die mit den Konsequenzen zurecht kommen müssen, jedoch kaum mitentscheiden dürfen. Als deutsche UN-Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung hatte ich eines der wenigen institutionalisierten Ämter für junge Menschen inne, die es derzeit ermöglichen, Politik sowie national als auch international mitzugestalten. Es war meine Aufgabe, die Stimme einer nachhaltigen Welt zu verkörpern.
Als offizielles Mitglied der deutschen Regierungsdelegation trugen mein Jugenddelegierten-Kollege und ich im Rahmen der UN-Verhandlungen über nachhaltige Entwicklung die Position unserer jungen Generation in die nationale und internationale Politik.
Diese Position stützte sich auf unsere vielen Begegnungen mit jungen Menschen in ganz Deutschland. Das ganze Jahr hindurch berichtete ich in Schulklassen, Pfadfindercamps, auf Veranstaltungen und in Hörsälen über die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele und sprach darüber, dass wir nur gemeinsam den Wandel, der mit 17 Zielen in der Agenda 2030 beschrieben ist, erreichen können. Ich sammelte anschliessend die Wünsche, Kritik, Fragen und bereits umgesetzten Aktionen und nahm diese anschliessend mit zur UNO. Dort konnte ich zeigen, dass wir jungen Menschen Wandel bereits im Kleinen umsetzen. Für grosse, strukturelle Änderungen jedoch forderten wir die amtierenden Politikerinnen und Politker zu mutigen Entscheidungen auf.
Welche Begegnungen und Erfahrungen aus dieser Zeit haben Sie am meisten beeindruckt?
Besonders inspirierend und ermutigend waren die Begegnungen mit jungen Frauen im globalen Süden. Trotz vieler Einschränkungen sind sie diejenigen, die Nachhaltigkeit in ihren Gemeinschaften voranbringen. Dies unterstreicht für mich den Satz, den die ehemalige irische Präsidentin Mary Robinson einmal zu mir gesagt hat: "Klimawandel ist ein Problem, das von Männern geschaffen wurde und Lösungen von Frauen erfordert."
In meinen Augen müssen wir zukünftige Entscheidungen ausgewogener treffen. Wir brauchen mehr Balance zwischen den Geschlechtern, den Generationen und den Regionen.
Auch der Besuch bei Fridays for Future-Aktivistinnen und Aktivisten in Kenia oder Brasilien war für mich prägend. Obwohl diese jungen Menschen viel dringlichere Probleme haben (wie z.B. Bildung, Gewalt, politische Regierungsführung etc.), gehen sie trotz Sicherheitsbedenken auf die Strasse. Dies hat mir gezeigt, welches Privileg und damit auch welche Verantwortung wir für diese Menschen tragen. Denn gerade die Konsequenzen des Klimawandels, dessen Ursachen in unserem Lebenswandel zu finden sind, sind dort sehr stark zu spüren.
Spannend war ausserdem zu sehen, wie unseren Anliegen durch den Beginn der Fridays for Future-Proteste bei Veranstaltungen mehr und mehr ehrliche Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Dies zeigt, dass sich der gemeinsame Appell meiner Generation auf der Strasse lohnt. Und es macht deutlich, dass ein aktives Einmischen in unserer Gesellschaft gehört wird (auch wenn das Ergebnis immer noch nicht zufriedenstellend ist).
Sie sind Klimaaktivistin, engagieren sich in der von Ihnen mitbegründeten Mobiltäts-Arbeitsgruppe «FahrradBande» und Sie waren bei den Freitagdemos in New York dabei. Wie versuchen Sie in Ihrem eigenen Alltag, Umweltnachhaltigkeit zu leben?
Es gibt viele kleine Veränderungen, die wir alle umsetzen können: Fahrrad fahren, eine pflanzenbasierte Ernährung, weniger Konsum, mehr Teilen und so weiter…
Da man aber im Alltag schnell an Grenzen stösst, setze ich mich dafür ein, dass auf politischer Ebene grosse strukturelle Veränderungen angestossen werden, wie z.B. eine Infrastruktur für nachhaltige Mobilität für alle, höhere Strafen für das Verschmutzen unserer Umwelt, die Integration eines Kreislaufdenkens in Wirtschaftsunternehmen, anstatt des BIP lieber einen Beitrag zum Wohlergehen für Gesellschaft und Planet messen etc.
Ich kam durch einen schmerzhaften Handbruch am Ende meiner Amtszeit zu einer weiteren Erkenntnis. Während der aufregenden, aber auch sehr anstrengenden Zeit als UN-Jugenddelegierte war ich mit meinen eigenen Ressourcen nicht nachhaltig umgegangen. Plötzlich wurde mein Alltag so viel langsamer und das war gut so. Wie nachhaltig und gesund gehen wir eigentlich mit uns selber und unserem Umfeld um? Ich glaube, wenn wir dieses Verhältnis korrigiert haben, wird dies auch auf globaler politscher Ebene zu einer Politik führen, die nicht im Widerspruch zu unserer menschlichen Existenz steht.
Vertrauensbildung, ethisches Leadership und eine nachhaltige Lebensweise stehen im Zentrum der Arbeit von Initiativen der Veränderung. Wie haben die Werte von IofC Sie in Ihrem Leben geprägt?
Mein Vater arbeitete lange als Vollzeitmitarbeiter für IofC und als Kind und Jugendliche war ich oft in Caux. Die Begegnungen dort mit Menschen aus aller Welt und das Hören ihrer Geschichten bildeten die Grundlage für meine Weltoffenheit, Toleranz und mein Streben nach globaler Gerechtigkeit.
In Caux hab ich oft Menschen sagen hören, dass Veränderung in uns selbst beginnt. Dies gilt insbesondere für jenen Wandel, der für eine nachhaltige Welt notwendig ist. Ich werde weiterhin eine Stimme für diejenigen sein, die nur selten gehört werden: junge Menschen, künftige Generationen und die Natur.
Die COVID-19-Krise hat vieles verändert. Was haben Sie aus der Zeit des Lockdowns gelernt ?
Neben dem Leid, das er gebracht hat, hat der Virus uns auch den Dienst erwiesen, weniger oberflächlich zu sein und uns auf das Wesentliche im Leben zu konzentrieren. Wir erkennen allmählich, dass wir auch mit weniger leben können: weniger Fliegen, weniger Konsum, weniger Ablenkung. Ich zumindest schätze jetzt Dinge, die mir vor der Pandemie unwichtig erschienen: Gemeinschaft, ehrliche Fürsorge für andere, die Möglichkeit, hinaus in die Natur zu gehen. Ich hoffe, dass wir dieses Gefühl nicht verlieren werden und dass es uns dadurch leichter fällt, Innovationen für eine nachhaltige Zukunft in Angriff zu nehmen.
Lesen Sie ausserdem Rebeccas " A Letter to Future Generations"
Interview: Ulrike Ott Chanu
Fotos: Kristoffer Schwetje Photography