Stille und Liebe : Zwei Alleskönner

Von Rainer Gude

12/02/2019
Rainer Gude TEDx talk 2019

 

Rainer Gude

Durch meine Arbeit und persönliche Reise habe ich festgestellt, dass es viele Dinge gibt, die ich nicht kontrollieren kann. Doch das wenige, das ich kontrollieren kann, das ich verändern kann, steckt in meinem Inneren. Es sind vor allem zwei Werkzeuge, die mir geholfen haben, bei mir selbst zu beginnen und die mich auf meinem Weg durch diese komplexe Welt leiten. Diese zwei Werkzeuge sind…Stille…und Liebe.

Hier ein paar Tips und Bilder, die helfen können, diese beiden Methoden besser zu verstehen. Das erste Bild zeigt einen Gegenstand, der sich irgendwie Zugang zu unserem Leben (und unseren Taschen) verschafft hat und ohne das wir praktisch nicht mehr leben können. Das Smartphone ! Und was braucht jedes Smartphone, egal welcher Generation es angehört ? Verbindung und Energie.

Wir Menschen sind ein bisschen wie Smartphones, denn auch wir brauchen diese beiden Dinge…Ich würde sagen, Stille kann grossartige Verbindungen herstellen. Es ist wie das geheime Passwort zu einem wunderbaren WLAN-Netz. Energie dagegen ist wie Liebe. Persönlich habe ich nichts gefunden, das stärkere Auswirkungen hat, egal in welchem Bereich.

Lassen Sie uns mit Stille beginnen. Viele Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass in dieser so schrecklich beschäftigten und lauten Welt, in der wir leben, ein bisschen Stille viel bewirken kann. Sie behaupten, Stille könne uns helfen, Informationen besser aufzunehmen, Stress zu reduzieren, uns glücklicher machen…sie ist praktisch ein Alleskönner. Und dennoch…denken Sie einmal darüber nach. Wann haben Sie sich das letzte Mal still hingesetzt oder sind spazierengegangen, ohne Kopfhörer, ohne auf Ihr Telefon zu schauen? Wann haben Sie zuletzt einfach auf Ihre Gedanken und Gefühle gehört ? Vor kurzem ? Haben Sie das Gefûhl, Sie tun es regelmässig ? Denken Sie, Sie haben genug Stille und Ruhe in Ihrem Leben ?  

Bleiben wir beim Bild des Smarthphones. Ich würde vorschlagen, Ihr Bedürfnis nach Stille auf drei Ebenen zu betrachten : zum Herunterladen, für die Kommunikation und zum Systemausbau. Für all dies ist ein gutes WLAN hilfreich. Für das Herunterladen kann eine Frage helfen : Nehme ich mir eine tägliche (oder regelmässige) Zeit der Stille ? Gehe ich spazieren, nehme ich mir einen Moment der Reflexion, einen Moment, um mich auf mich selbst zu besinnen ? Höre ich auf mich ? Dies kann mir helfen, alles was ich gehört oder erlebt habe (oder erleben möchte) zu verarbeiten und sogar wie eine Art Reset-Knopf fungieren, um mich selbst wieder in die Gegenwart zu bringen.

Beim zweiten Punkt, Kommunikation, hilft eine gute Frage: Nehme ich mit anderen gut "Verbindung" auf? Höre ich ihnen zu? Um jemandem anderen zuzuhören, muss man stille sein. Ein schönes Bild, das mir einmal kam, ist folgendes: Wenn andere reden, geben ich ihnen den Raum, alles zu sagen, was sie zu sagen haben? Kann ich vor ihnen wie ein weisses Blatt sein, auf das sie alles schreiben, was in ihnen steckt? Es gibt sicherlich Zeiten, in denen ich jemanden mit einer Art Pseudostille zugehört und gleichzeitig an etwas anderes gedacht oder einfach nur meine Antwort geplant und gemerkt habe, dass die Qualität meiner "Verbindung" nicht besonders gut war und meine Antworten daher nicht auf den Punkt trafen.

Der letzte Punkt betrifft den Systemausbau. Hier stellt sich die Frage: Durchlaufe ich bestimmte Zeiten, in denen ich tiefer in die Stille gehe oder entschleunige? Ein langer Spaziergang in der Natur, Einkehrtage, etc...Manchmal brauchen wir einen langen Moment der Stille, um hören, sehen und das sagen zu können, was in uns steckt. Manchmal brauchen wir eine längere Stille, um unsere Perspektive auszubauen, unsere Blockaden zu überwinden und unsere blinden Flecken zu erkennen. Vieles lässt sich mit Stille lösen oder verbessern.

Jetzt kommen wir zum zweiten Werkzeug, der Liebe. Ich glaube, in einer Welt, die sich nach "Likes" sehnt und von Herzchen-Emojis überschwemmt ist, würden viele zugeben, dass wir unter einem Liebesdefizit leiden. Aber was ist Liebe? Es beinhaltet viele Dinge, darunter alles, was eine Familie zusammenhält, der Stoff, aus dem Freundschaften gemacht sind, all unsere Vorstellungen von Romantik und die simplen Interaktionen allgemeinen Anstands und Respekts zwischen Menschen. Unter anderen Umständen trifft auch das Wort "Mitgefühl" oder vielleicht das französische Wort "bienveillance" (jemandem wohlgesonnen sein) zu. Ich spreche über etwas konkretes, das mehr als Emotion ist. Es benötigt Anstrengung, aber gleichzeitig kann es auch so einfach wie ein Lächeln sein. Liebe ist ein weiteres Schlüsselelement, wenn es darum geht, die Welt und sich selbst zu verändern, denn genau darum geht es. Sie hilft, sich selbst zu übertreffen und verbindet mit anderen und dem Leben im Allgemeinen. Sie ist eine Energie, die man sowohl weitergibt und von der man gleichzeigit aufgeladen wird.

Ein Modell, das hlft, jene Liebe zu verdeutlichen, über die ich spreche, ist das sogenannte "Liebesdreieck". Hier geht es nicht um eine Art Hollywood- oder Netflix-Scenario, Sie können sich also wieder beruhigen...Liebe hat meiner Ansicht nach drei Seiten: das Ich, die Anderen und das Ganze (oder das Jenseitige). Es ist ein Dreieck, durch das eine Energie fliesst. Ich kann andere nicht lieben, wenn ich nicht spüre, dass ich mit einem grösseren Ganzen (oder darüber hinaus mit etwas "Jenseitigem") verbunden bin und ich kann andere nicht lieben, ohne zu erkennen, dass ich ihnen etwas Wertvolles zu bieten habe. In anderen Worten, ich kann niemanden lieben, ohne mich selbst zu lieben und ohne mich mit einem grösseren Ganzen verbunden zu fühlen. Dasselbe trifft auch andersherum zu. Dieses "Ganze" oder "Jenseitige" ist natürlich schwer zu definieren, das gebe ich zu. Man kann hier auch andere Worte einsetzen, wie Menschheit, Universum oder diejenigen mit einem religiösen Hintergrund können das Wort "Gott" nehmen. All dies passt hier.

Wenn zwischen diesen drei Seiten kein Zufluss besteht, würde ich sagen, es fehlt etwas. Wenn man ständig andere liebt, sich jedoch für sich selbst keine Zeit nimmt (um die eigenen Batterien aufzuladen, sich auf sich selbst zu besinnen), wird es Probleme geben. Wenn man liebt und sich nur auf sich selbst besinnt, ist es hart, einem grösseren Ganzen zu dienen und damit verbunden zu sein und so weiter und so fort. Es kann auch bestimmte Momente geben, in denen Sie sich Zeit für sich selbst nehmen oder konkreet andere lieben oder auf eine Art mit einem grösseren Ganzen verbunden sind. Aber letztendlich sind bei Liebe Elemente aller drei Seiten des Dreiecks enthalten.

Na und? Klingt einfach? Natürlich ist es das, aber diese Elemente sind so einfach, dass wir uns manchmal ein bisschen davon ablennken lassen. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen als Hilfestellung mitgeben, die Sie sich vielleicht in einem Moment der Stille stellen können, die helfen, sich wieder auf Liebe zu besinnen. Wie sieht mein Liebesdreieck aus? Wie sieht derzeit Liebe bei mir aus? Wo kann ich in meiner Arbeit Liebe einbauen? Liebe ist ein grosses "Warum" und Stille ist ein toller Moment, sich auf dieses "Warum" zu besinnen, darüber nachzudenken, um sicherzugehen, dass man sich noch auf dem richtigen Kurs befindet.

Sie müssen sich jetzt nicht zwingen, drei Stunden lang still zu sein oder morgen zu "Liebesexperten" zu mutieren. Wie bei jeder Reise geht es darum, Schritt für Schritt weiterzugehen. Probieren Sie heute einfach ein bisschen mehr Stille und ein bisschen mehr Liebe aus. Wie wäre es, wenn wir es versuchen, einfach nur ganz kurz, nur 30 Sekunden der Stille...ohne unsere Smartphones anzufassen...und einfach nur die Ruhe geniessen und uns selbst fragen, wo es in unserem Leben Liebe gibt und wo wir mehr davon brauchen?

...

Wie war das? Gar nicht so schlimm? Probieren Sie es beim nächsten Mal ein bisschen länger. 

Ich wünsche Ihnen alles Gute und viel Freude auf der Suche nach einer guten Verbindung und beim Einsetzen (und Aufladen) Ihrer Energie.

 

Sehen Sie Rainers gesamte TEDx Talk an der Genfer Universität hier (in englischer Sprache .

 

 

Foto oben: von TEDx YouTube video

Foto Liebe/Stille: Rainer Gude

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