1947 - Peter Petersen: "Alles, was wir uns zu unserer Verteidigung zurechtgelegt hatten, brach zusammen"
Von Mary Lean
03/02/2021
“Damals hätte selbst ein Hund ein Stück Brot aus der Hand eines Deutschen abgelehnt", erinnert sich Peter Petersen, einer von 150 Deutschen, denen die Alliierten 1947 erlaubten, nach Caux zu kommen. Sie gehörten zu den ersten Deutschen, die ihr Land nach dem Zweiten Weltkrieg verliessen.
Petersen und seine Begleiter waren überrascht, nicht mit Abscheu begrüsst zu werden, sondern von einem französischen Chor, der ein Lied auf Deutsch sang. „Wir hatten uns schon darin geübt, uns zu verteidigen, wenn wir beschuldigt wurden. Aber hier waren die Türen für uns weit geöffnet.“
Petersen hatte sein ganzes Leben lang eine Uniform getragen: zuerst als Hitlerjunge, später auf einer speziellen Nazi-Schule und dann in der deutschen Armee. Zwei Wochen vor Kriegsende war er verwundet worden und nach dem Krieg geriet er in britische Gefangenschaft. Jetzt, im Alter von 21 Jahren, hatte er keine Zivilkleidung und kam in einem Anzug seines Grossvaters nach Caux, der ihm sowohl zu kurz als auch zu gross war.
“Wie viele Deutsche hatte ich mich in eine Haltung zurückgezogen, die eine Mischung aus Selbstmitleid und Angeberei war," sagte Petersen später. Als er und seine Freunde erfuhren, dass die Sekretärin der Sozialistischen Frauen Frankreichs und ehemalige Widerstandskämpferin Irène Laure auf der Konferenz sprechen würde, bereiteten sie sich vor. “Wir sagten uns: Wenn sie über all das spricht, was Frankreich erlitten hat, werden wir auch etwas über die Franzosen zu sagen haben.”
Ihre Ehrlichkeit und ihre innere Grösse brachten uns dazu, ehrlich mit uns selbst zu sein. Wir schämten uns über unsere Blindheit.
Zum Erstaunen der Deutschen entschuldigte sich die ehemalige französische Widerstandskämpferin öffentlich bei ihnen für ihren Hass. “Es war so unerwartet. Alles, was wir uns zu unserer Verteidigung zurechtgelegt hatten, brach zusammen... Ihre Ehrlichkeit und ihre innere Grösse brachten uns dazu, ehrlich mit uns selbst zu sein. Wir schämten uns über unsere Blindheit.”
Nach langen Diskussionen untereinander und einigen schlaflosen Nächten suchten Petersen und seine Freunde das Gespräch mit Irène Laure. “Wir begannen zu erkennen, wo wir falsch gehandelt hatten und sagten ihr das, denn nur so ist Heilung möglich.”
Zwischen 1948 und 1951 nahmen fast 4.000 weitere Deutsche an Konferenzen in Caux teil. Petersen war Teil einer internationalen IofC-Truppe, die fünf Jahre lang durch Deutschland reiste und Brücken zwischen den Menschen schlug und Versöhnung und den Wiederaufbau Europas nach dem Krieg ermöglichte.
Im Jahr 1965 wurde Peter Petersen in den Deutschen Bundestag gewählt. Während seiner langen politischen Karriere machte er keinen Hehl aus seiner Vergangenheit und den Opfern, die nötig waren, um die Beziehungen zu denjenigen zu heilen, die unter der deutschen Herrschaft gelitten hatten.
"Es gibt zwei Möglichkeiten, die Vergangenheit loszuwerden", sagte er. "Man kann sie unter den Teppich kehren, aber es besteht immer die Gefahr, dass sie irgendwo anders wieder auftaucht. Oder man kann den Weg der Ehrlichkeit gehen. Es war diese Eigenschaft von Caux, die es uns Deutschen ermöglichte, anderen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen.'
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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Einzelpersonen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie eine Geschichte kennen, die sich für diese Serie eignet, leiten Sie Ihre Ideen bitte per E-Mail an John Bond oder Yara Zhgeib. weiter. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.
- Photos: Initiatives of Change
- Übersetzung/Korrekturlesung: Maya Fiaux