“Wir haben einander als Menschen wahrgenommen!"
Caux Peace and Leadership-Programm 2018
17/10/2018
Oana Dinea ist Konzertpianistin und stammt aus Rumänien. Sie lebt derzeit in Genf und nahm am Caux Peace and Leadership-Programme 2018 teil.
In Caux geht es um Beziehungen. Um Menschen. Darum, wie man von Menschen aus rund 40 Ländern lernen kann und mit ihnen umgeht. Und es überrascht, dass diese Menschen in uns Türen öffnen. Diese neuen Freunde können auch Menschen sein, die man im eigenen Umfeld bislang noch nicht wahrgenommen hat. Ein Art Präsenz, die man langsam im eigenen Leben wahrnimmt.
Jedes Jahr im September beispielsweise organisiere ich zu Beginn des Schuljahres ein privates Treffen mit den Eltern meiner Schülerinnen und Schülern des Musikkonservatoriums in Genf, wo ich Klavier unterrichte.
Dieses Jahr wollte ich – zu meiner eigenen Überraschung – kein weiteres offizielles Treffen, bei dem es um organisatorische Fragen geht, wo die Eltern Notizen machen und Prüfungs- und Vorspieltermine aufschreiben. Obwohl all dies wichtig ist, wollte ich etwas anderes machen: ich wollte über mich sprechen, meine Kindheit in Rumänien und die Entscheidungen, die mein Leben geprägt haben.
Und so sprach ich über meine Eltern, meine Kultur, meine Lehrerinnen und Lehrer und so vieles andere, das sie nicht über mich wussten. Ich habe mich noch nie zuvor so mit den Eltern meiner Schülerinnen und Schüler verbunden gefühlt wie in diesem Moment. Wir haben einander als Menschen wahrgenommen.
Und nachdem diese Beziehung entstanden war, sprachen sie über sich selbst. Sie sprachen über ihr Leben und ihre Ängste bei der Erziehung ihrer Kinder. Wir fühlten uns alle erfüllt, es war Freude pur!
Die Idee, über mein Leben zu sprechen, bekam ich in Caux. Ich hatte noch nie zuvor darüber nachgedacht, über Dinge mit den Eltern meiner Schülerinnen und Schüler zu sprechen, die von Bedeutung waren. Es war mir nie in den Sinn gekommen, eine kleine Aktion könnte solche Auswirkungen. Seit diesem Moment hat sich unsere Beziehung verändert. Das Vertrauen, das durch die Geschichten, die wir uns gegenseitig erzählt haben, entstanden ist, wird die Art und Weise beeinflussen, wie ihre Kinder jede Woche ins Konservatorium kommen, wie sie Musik wahrnehmen, wie sie üben und wie sie dem Klavier Zeit widmen. Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich sie überreden muss oder dass wir uns in einem Kampf miteinander befinden. Ich habe das Gefühl, dass wir vom gleichen Wunsch nach Fortschritt erfüllt sind.
In Caux habe ich etwas gelernt, was für mich noch immer sehr schwierig ist. Wenn man ein Samenkorn pflanzt, heist das nicht immer, Menschen zu sagen, was sie tun sollen, sondern auch die Geduld zu haben, ihrem eigenen Tempo zu vertrauen.
Menschen handeln nicht, weil man es ihnen befielt. Sie handeln, wenn das Handeln anderer sie inspiriert. Wenn sie andere bewundern und das Gefühl haben, ihnen vertrauen zu können, haben sie das Gefühl, starker zu werden. Bei manchen Menschen geschieht dies ganz leicht, bei anderen ist es schwieriger. Aber ich bin zuversichtlich, dass meine Art zu kommunizieren sich mehr und mehr verbessert.
Durch meine Arbeit waren Selbstdisziplin und das Setzen von Prioritäten schon immer ein Teil meines Lebens. Mir wird klar, dass eine dieser Prioritäten sich verändert hat: ich widme den Menschen um mich herum mehr Zeit - nicht nur meinen Freunden, sondern Menschen im Allgemeinen. Meistens geht es darum, anderen zuzuhören und zu lächeln.
Ich habe erkannt, dass unsere Einsamkeit durch unsere gemeinsame Abhängigkeit von den Medien entsteht. Meine nächste Priorität wird daher sein, einen Tag pro Woche keine sozialen Medien zu nutzen und auch niemanden anzurufen. Am Anfang ist das sehr schwierig. Aber nach einer Weile nutzt man die eigene Kreativität und manchmal tut man das, was Kinder tun: spielen und staunen. Unser grösstes Werkzeug ist die eigene Vorstellungskraft. Wenn man es zulässt, das eigene Leben aktiv zu schaffen, anstatt Gewohnheiten das eigene Handeln kontrollieren zu lassen, fühlt man, dass man nicht nur existiert – man lebt!
Bei meinen Konzerten geht es um Menschen und Kunst. Alles, worüber ich bisher geschrieben habe – das Gefühl einer Präsenz, der Austausch von Erfahrungen, andere mit Selbstbewusstsein zu inspirieren und dem eigenen Tempo zu vertrauen, Prioritäten zu setzen – hilft mir, mir der Möglichkeiten besser bewusst zu warden, die ich habe, um Menschen näherzukommen und Ideen zu entdecken.
Es geht darum, durch das, was ich tue, eine Brücke zwischen meiner Abeit und dem Mangel, den ich in der Welt sehe, zu schlagen.