Mohammed Abu-Nimer: Dialog - Frieden zu einem Grundelement der Gesellschaft machen
Tools for Changemakers 2020
19/09/2020
Mohammed Abu-Nimer ist Professor an der School of International Service in International Peace and Conflict Resolution der American University in Washington DC sowie leitender Berater des Internationalen Dialogzentrums (KAICIID). Als Experte für Konfliktlösung moderiert er seit 30 Jahren Dialoge. Seit 1993 ist er einer der Hauptdozenten des Caux Scholar-Programms und war im Juli 2020 Referent bei Tools for Changemakers. Er sprach mit uns über die Rolle des Dialogs beim Aufbau eines nachhaltigen Friedens.
Friedenskonsolidierung liegt Professor Abu-Nimer im Blut: Sein Grossvater war viele Jahre lang als Mediator tätig. Seinen ersten Dialog erlebte er im Alter von 19 Jahren, als er sein Studium begann. Damals hielt er Dialogarbeit für eine Form politischen Aktivismus. Er entdeckte, dass politischer Aktivismus und Dialog zwar beide auf Veränderung abzielen, Dialog diese jedoch durch den Aufbau von Beziehungen, ein besseres Selbstverständnis, das Verständnis anderer Menschen sowie die Suche nach gemeinsamen Wegen erreicht. Konfrontation, Schuldzuweisungen oder Scham jedoch sind keine Lösungen. Seitdem wendet er weltweit Dialog zur Lösung interreligiöser, interethnischer und interrassischer Konflikte an.
Was ist Dialog?
Dialog, so Abu-Nimer, beginne damit, Gemeinsamkeiten zu finden. Diese ermöglichten es uns, andere als Menschen zu sehen und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Er betont jedoch, dies sei nicht der wichtigste Schritt. Der nächste und schwierigere Schritt sei die Erforschung von Unterschieden. "Wir nutzen unsere Gemeinsamkeiten, um ein Netz von Beziehungen aufzubauen, das es den Menschen ermöglicht, ihre Herausforderungen und Unterschiede friedlich zu lösen", sagt er. "Aber es geht nicht nur um unser Gegenüber, sondern auch um die Beantwortung der Frage, was wir gemeinsam tun können, um die Probleme zu lösen. Dialog hat die Macht, konkrete Strategien zu entwickeln, um Frieden in der Gesellschaft zu schaffen."
Keine Gerechtigkeit, kein Frieden
Frieden sei ohne Gerechtigkeit nicht möglich, so Abu-Nimer weiter. Für Afroamerikaner und Nicht-Weisse in den Vereinigten Staaten zum Beispiel könne es ohne strukturelle Veränderungen keine vollständige Aussöhnung mit dem herrschenden politischen System und der Gesellschaft, die dieses unterstützt, geben. Dialog jedoch könne zu strukturellen Veränderungen beitragen, indem er den Dialogteilnehmenden "erkennen lässt, dass es viele Wege gibt, um Gerechtigkeit zu erreichen, wie beispielsweise politischen Aktivismus, Boykott und andere Techniken des Friedens und gewaltfreien Widerstands".
Obwohl Dialog nicht das einzige Tor zum Frieden sei, mache er Frieden nachhaltig. Strukturelle Veränderungen allein reichten oft nicht aus, so Abu-Nimer. In Südafrika zum Beispiel habe die Abschaffung der Apartheid zu einem gewaltigen Systemwandel geführt, der jedoch Rassentrennung, kulturelle Gewalt und rassische Vorurteile nicht stoppen konnte. Selbst eine faire und gerechte Struktur brauche Dialog sowie eine Kultur und Praxis des Friedens, sonst gäbe es keine Garantie dafür, dass Frieden erhalten bleibe. Durch einschneidende Ereignisse (z.B. eine Naturkatastrophe oder eine verstärkte wirtschaftliche Notlage) könnten die Menschen wieder in gewaltsame Konflikte zurückfallen. Dialog fördere eine tiefere Art von Frieden, weil er Frieden auf der individuellen Ebene schaffe. Dialog, davon ist Abu-Nimer überzeugt, sei das wirkungsvollste Instrument zur Verhütung gewaltsamer Konflikte. Es werde immer Konflikte geben, Dialog jedoch könne gewaltsame Konflikte verhindern.
Förderung einer Dialogkultur
Das Internationale Dialogzentrum (KAICIID), in dem Abu-Nimer als leitender Berater tätig ist, hat den Aufbau einer Friedenskultur zum Ziel. Es möchte, dass Dialog Teil des Lehrplans wird und Kindern als eine wesentliche Fähigkeit, wie das sichere Überqueren der Strasse, beigebracht wird. Jeder, so Abu-Nimer, müsse "einige der grundlegenden Instrumente des Dialogs beherrschen", wenn wir eine Gesellschaft schaffen wollen, die weniger grausam, rassistisch und fremdenfeindlich sei. In einer dialoggeübten Gesellschaft würden wir anderen Menschen die Möglichkeit geben, ihre Meinung zu sagen, ohne sie zu verurteilen und zu etikettieren. Solange Dialog nicht institutionalisiert werde, so Abu-Nimer, blieben viele unserer Friedensbemühungen auf der Strecke.
Durch Dialog begegnen wir nicht nur anderen, sondern auch uns selbst. Dialog vertieft unser Selbstverständnis und unser Verständnis davon, was wir wollen und was für uns wichtig ist. Dies verändert uns und lässt uns als Menschen wachsen. "Dialog hat mir geholfen, geduldiger zu sein, die Perspektive jedes Einzelnen zu schätzen und es so weit wie möglich zu vermeiden, andere Menschen zu verurteilen. Er ermöglicht es mir auch, die Klagen anderer klarer zu hören und mich selbst besser zu verstehen. Indem wir Dialog praktizieren, wird uns bewusster, wie begrenzt unsere Wahrnehmung der Welt ist und wie sehr wir von anderen Menschen abhängig sind, um zu erreichen, was wir wollen."
Ansatzpunkte
Abu-Nimer gibt allen, die in Konflikte, egal welcher Art, verwickelt sind, noch ein paar Ratschläge mit auf den Weg. "Fragen Sie sich, welche Rolle Sie in dem Konflikt spielen und werden Sie sich dessen bewusst. Begreifen Sie, dass ein Konflikt eine Gelegenheit zur Veränderung ist. Er ist ein Versuch, mit Beziehungen der Abhängigkeit und Interdependenz umzugehen. Identifizieren Sie, was die andere Partei will und wie Sie ihr helfen können, das zu bekommen, was sie will, ohne sich selbst und die eigenen Wünsche aus den Augen zu verlieren."
Diese Ratschläge können helfen, einen Weg zu finden, Konflikte friedlich zu lösen und durch sie zu wachsen.
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