Liebe erfordert mehr Mut als Hass
Armenisch-kurdisch-türkischer Dialog 2019
17/08/2019
Der armenisch-kurdisch-türkische Dialog fand 2019 im Rahmen der Konferenz Tools for Changemakers statt und brachte Menschen armenischer, kurdischer und türkischer Herkunft zusammen, um sensiblen Themen zu diskutieren, die die Beziehungen zwischen diesen Gruppen belasten. John Bond fasst den Dialog und die Fortschritte der vergangenen vier Jahre zusammen.
Während des ersten Weltkriegs wurden 1,5 Millionen Armenierinnen und Armenier getötet und auf Befehl der Herrscher des Osmanischen Reichs dem Tod überlassen. Seitdem herrscht in armenischen Gemeinschaften weltweit Hass gegenüber Türkinnen und Türken vor, den Nachfahren jener Osmanen. Die Versuche der türkischen Regierung, den Genozid zu leugnen, führten lediglich dazu, dieses Gefühl von Hass gegenüber bei Armenierinnen und Armeniern zu bestärken.
2015 fand sich eine Gruppe aus 15 jungen türkischen und armenischen Berufstätigen in Caux zusammen, um Möglichkeiten zu finden, diesen Kreis zu durchbrechen. Aus diesem Austausch entstand eine alljährliche Veranstaltung im Rahmen des Caux Forums. Mitglieder der kurdischen Gemeinschaften kamen dazu, so dass es sich jetzt um einen armenisch-kurdisch-türkischen Dialog handelt.
Viele armenische Teilnehmende kommen aus dem Libanon, in den ihre Vorfahren 1915 flohen. „Ich bin die vierte Generation der Überlebenden des Genozids“, sagt Arshalouys Tenbelian, die an drei Dialogen teilgenommen hat und nun als Co-Koordinatorin wieder dabei ist. „Der Libanon gab uns freundlicherweise die libanesische Staatsbürgerschaft. In Beirut ging ich auf eine armenische Schule und zu Hause sprachen wir nur Armenisch, um unsere Kultur zu bewahren.
Türkinnen und Türken waren für uns immer Feinde. Als meine Professorin mich drängte, am Dialog in Caux teilzunehmen, zögerte ich. Sie betonte, dass ich Journalismus studiere und man als guter Journalist alle Seiten berücksichtigen müsse. Ich stimmte also zu, um für unsere Sache einzustehen.
Als wir uns in Caux vorstellen sollten, sagte ich nur meinen Namen – ich wollte nicht, dass die Türkinnen und Türken etwas anderes über mich wussten. Dann begann der Dialog. Innerhalb der Diaspora im Libanon ist die Geschichte noch frisch und unverheilt. Wir argumentierten, wir brüllten, wir schrieen. Jahrelang unterdrückte Emotionen brachen sich Bahn.“
„Es war wie ein kalter Krieg“, sagt Burak Cevik, türkischer Teilnehmer und Co-Koordinator des Dialogs. „Die Armenierinnen und Armenier bombardierten uns mit Fragen. ‚Gibst Du das Haus meiner Grossmutter zurück? Wirst Du dich für den Genozid entschuldigen?‘“ Ein armenisches Mädchen sagte: „Ich bin nur hier, um von einem Türken eine Entschuldigung zu hören und dann weiterzumachen.
Ein türkisches Mädchen stand auf, ging auf sie zu und entschuldigte sich. Daraufhin habe ich den Raum verlassen. Nach der Sitzung fragte ich sie, warum sie sich für etwas entschuldigte, das sie nicht getan habe. Sie antwortete: ‚Es geht nicht darum, was ich getan habe, es geht darum, was ihnen widerfahren ist. Es geht darum, sich um jemanden zu kümmern, der Verständnis von unserer Seite möchte.'
Langsam kamen wir uns näher. Irgendwann sang ein Mädchen ein armenisches Lied. Ein türkisches Mädchen sagte daraufhin: ‚Ich kenne dieses Lied auf Türkisch.‘ Und fünf Minuten später sangen wir alle zusammen. Das war der Moment, an dem Aussöhnung zwischen uns begann."
„Wir haben gelernt, zuzuhören“, sagt Arshalouys. „Ich habe akzeptiert, dass ich niemanden zwingen kann, den Genozid anzuerkennen. Ich werde weiterhin für diese Anerkennung arbeiten. Aber jetzt kann ich den Anderen als die Person akzeptieren, die er oder sie ist.“
Das war ein grosser Durchbruch. In Caux habe ich gelernt, dass ich, nachdem ich zu hassen gelernt habe, auch lernen kann, nicht mehr zu hassen. Und dafür brauche ich das Gegenüber. Ich brauche Burak und er braucht mich, um die Erinnerung zu heilen, die uns beide von der Last des Hassens befreit.
Viele Armenierinnen und Armenier betrachten uns als Verräter, weil wir Freundschaften mit Türkinnen und Türken geschlossen haben. Ich erwidere darauf nur, dass Liebe mehr Mut als Hass erfordert.“
In den letzten vier Jahren besuchten einige Teilnehmende das Land der anderen. Burak war dieses Jahr bereits in Beirut. In einem armenischen Museum las er den Brief einer türkischen Mutter von 1915 an das armenische Kind in ihrer Obhut. „Trotz der ganzen Tragödie hat sie Hass in Liebe verwandelt“, sagt er.
Arshalouys sagt, sie arbeie heute daran, genau dies zu erreichen. „Wir bluten solange weiter, bis wir entdecken, dass der andere auch ein Mensch ist. Deswegen ist Dialog so wichtig. Wir können unseren Hass überwinden. Liebe ist die stärkste Waffe.“
Text: John Bond, Sekretär bei Initiativen der Veränderung International
Fotos: Paula Mariane und Leela Channer