Zielsetzung nachhaltiger Unternehmen jenseits des Profits
Initiatives of Change Business & Economy 2021
22/07/2021Von Michael Smith
„Unternehmen brauchen eine Zielsetzung, die über Profit hinausgeht“, so Sunil Mathur, Geschäftsführer und Chief Executive von Siemens Indien und Südasien. „Die Ziele der Unternehmen sind entscheidend“, sagt er. Sie sollten die Verpflichtung für die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen, die Bewältigung ökologischer Herausforderungen, Vielfalt in der Belegschaft und ethische Werte umfassen.
Moralischer Kompass für Unternehmen
Mathur eröffnete mit seiner Rede im Rahmen einer Podiumsdiskussion die erste Konferenz des Caux Forum Online 2021, das dieses Jahr zusätzlich das 75-jährige Bestehen des Konferenzzentrums für Initiativen der Veränderung in der Schweiz feierte. Das zweitägige Wirtschaftsforum, das vom 12. bis 13. Juli stattfand, stand unter der Überschrift „Unternehmensführung im 21. Jahrhundert – Antworten für systemische Krisen“ und wurde vom Programm Initiatives of Change Business & Economy organisiert, das ausserdem monatliche Treffen zu den Auswirkungen von Nachhaltigkeit auf die Wirtschaft veranstaltet.
Mathur leitet ein 1,2 Milliarden Pfund schweres Ingenieur- und Infrastrukturunternehmen mit fast 10.000 Angestellten. Er räumte ein, dass „Erwartungen der Aktionärinnen und Aktionäre zu einer immer grösseren Herausforderung werden“, wenn sie mit den langfristigen Zielen des Vorstands kollidieren. „Die Börse ist rücksichtslos“, so Mathur.
Unternehmen können nur dann nachhaltig sein, wenn sie sich einem höheren Ziel verpflichtet fühlen
„Wachstum ist nur dann nachhaltig, wenn es alle Akteurinnen und Akteure betrifft“, so Mathur weiter. „Wachstum, mit dem ein höherer Zweck verfolgt wird, wird immer wichtiger. Unternehmen können nur dann nachhaltig sein, wenn sie sich einem höheren Ziel verpflichtet fühlen.“
Er forderte, man müsse Worten auch Taten folgen lassen: „Orientiert man sich im Unternehmen an einem moralischen Kompass? Kommuniziert man diesen gegenüber allen Mitarbeitenden?“
Siemens operiere jetzt unter dem Akronym DEGREE:
- Dekarbonisierung;
- Ethik – eine Kultur der Integrität;
- Governance;
- Ressourcen – Müllvermeidung;
- Egalität – Gerechtigkeit und Inklusivität;
- Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit – für alle Mitarbeitenden.
2006 überstand Siemens, das seinen Sitz in Deutschland hat, einen Bestechungsskandal. Damals wurde ein geheimer Fonds in Höhe von 40 bis 50 Millionen Dollar aufgedeckt, mit dem Aufträge in afrikanischen Ländern gewonnen wurden. Daraufhin trat der Vorstand zurück, ein neuer Vorstand und eine neue Geschäftsführung wurden eingesetzt und man erklärte, dass „nur saubere Geschäfte Siemens-Geschäfte sind“. Das Unternehmen wurde so umstrukturiert, dass der Dow Jones Siemens als das ethischste Unternehmen der Welt einstufte.
Mathur gab zu, es gäbe ethische Konflikte, wie zum Beispiel bei der Beschäftigung von Kindern als Teejunge oder Teemädchen. Das Kind habe zwar ein Recht auf Bildung, gleichzeitig könne es aber der einzige Ernährer bzw. die einzige Ernährerin der Familie sein.
Menschlichkeit im Zentrum unternehmerischer Praktiken
Isabella Bunn, Professorin für Wirtschaftsethik am Regents Park College der University of Oxford und Mitglied des Leitungsgremiums von Oxford Analytica, konzentrierte sich ebenfalls auf Werte und die Zielsetzung von Unternehmen. Diese sollten einen „Multi-Stakeholder-Ansatz“ verfolgen, der ökologische und soziale Verantwortung, Corporate Governance und die SDGs umfasse. Der Nutzen, den Unternehmen für die Gesellschaft bringen, gäbe ihnen eine „soziale Lizenz für den Geschäftsbetrieb“, sagte sie. „Vorstände müssen die Wertekultur des Unternehmens etablieren und diese Kultur als Unternehmenswert ansehen“.
Der Unterschied in Bezug auf die Zielsetzung besteht nun darin, wie man den Menschen in den Mittelpunkt der Unternehmenspraxis stellt.
Bunn, die sich auf ethische Aspekte des Wirtschaftsrechts spezialisiert hat, nannte Organisationen, die sich für einen Zweck jenseits des Profits einsetzen. Dazu gehörten der Caux Round Table for Moral Capitalism, Oxford Analytica, das British Academy Future of the Corporation Programme und der UN Global Compact.
Sie sagte, Unternehmen sollten ihren Zweck strategisch angehen – dies müsse ein konstantes und nachhaltiges Prinzip für den gesamten Betrieb sein. Weil der Zweck nun stärker in den Fokus rücke, müsse man auch darüber nachdenken, „wie man Menschlichkeit in den Mittelpunkt der Unternehmenspraxis stellt“.
Alle Stakeholder mit einbeziehen
Die Menschenrechtsanwältin und Mediatorin Elise Groulx Diggs, die an der Georgetown University in Washington D. C. tätig ist, berät Unternehmen zu Menschenrechtsrisiken bei ihren strategischen Zielen und Lieferketten. Sie sagte, es sei notwendig, mit allen Akteurinnen und Akteuren über Menschenrechte zu sprechen. Dazu gehöre auch, „Menschenrechtsverletzungen und Klimaschäden“ zu thematisieren und anzugehen.
Groulx unterschied zwischen der „Kunst, Gutes zu tun“, was durch die Corporate Social Responsibility" (CSR) unterstützt werde, und der „Kunst, keinen Schaden anzurichten“, was durch „Wirtschaft und Menschenrechte“, einem neuen Bereich der Rechtssprechung, vorangetrieben werde.
Sie bezog das Bewusstsein für die „vorgelagerte Lieferkette“ in ihren Ansatz, alle Stakeholder zu berücksichtigen, mit ein und nannte das Beispiel der Rana-Plaza-Tragödie in Dhaka, Bangladesch. Als das Gebäude im April 2013 einstürzte, kamen über 1.100 Arbeiterinnen der Textilindustrie ums Leben. Sie stellten Kleidung für westliche Modehäuser in einem Gebäude her, das als unsicher eingestuft worden war, nachdem Risse in den Betonpfeilern aufgetreten waren. Das bangladeschische Gesetz, so Groulx, habe Gewerkschaften verboten, die sich für die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeitern eingesetzt hätten.
Sie wies ausserdem auf Versäumnisse bei sozialen Investitionen von Bergbauunternehmen hin, wo von Peru bis Australien und Papua-Neuguinea Entscheidungen aus einer Entfernung von 5.000 Meilen getroffen würden, ohne dass es eine angemessene Konsultation oder Beteiligung auf lokaler Ebene gäbe.
Man muss optimistisch sein, damit sich Dinge ändern können.
Dennoch „muss man optimistisch sein“, damit sich Dinge ändern können. Die Principles for Responsible Management Education (PRME) der UN beziehen 800 Business- und Managementhochschulen in die Vermittlung von Unternehmenswerten und Nachhaltigkeit ein.
Groulx stellte kurz ihr Modell der „Galaxie der Normen“ vor, das hilft, das sich global entwickelnde neue Rechtsuniversum zu verstehen. Darin träfe durch fünf Haftungsringe hartes Recht auf weiches Recht : Berichterstattung (einschliesslich des Drei-Säulen-Modells der nachhaltigen Entwicklung von Menschen, Planet und Profit); eine gesetzliche Sorgfaltspflicht für Mitarbeitende, Lieferantinnen, Lieferanten und andere Stakeholder; freiwillige Prinzipien und Industriestandards; Verträge und Verhaltenskodizes und das sogenannte weiche Recht (wie die UN Guiding Principles on Business and Human Rights, die OECD-Richtlinien, die ILO-Kernkonventionen, die SDGs und der UN Global Compact).
Gemeinschaft des Vertrauens
Während der Online-Diskussion betonten die Teilnehmenden, potenzielle Mitarbeitenden suchten Unternehmen, die als ethisch fundiert angesehen werden, auch in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Themen wie dem Klimawandel.
Mathur appellierte an „vertrauensvolle Beziehungen“ zwischen Wirtschaft, Regierungen und Zivilgesellschaft. Unterstützt wurde er von dem nordirischen Geschäftsmann Peter Brew in seinem Appell, Initiativen der Veränderung solle „als Scharnier für den Aufbau von Vertrauen“ zwischen der Geschäftswelt, den Regierungen und der Zivilgesellschaft dienen. Es brauche einen „sicheren Raum“ für den Austausch, so Bunn, oder, wie Groulx es ausdrückte, eine „Gemeinschaft des Vertrauens“.
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