„Indigene Menschen können nicht-indigenen Menschen ein Geschenk machen.

CATS 2018: Interview mit Shawn Andrews

04/08/2018
CATS 2018

 

Shawn Andrews gehört zu den Ureinwohnern Australiens. Er ist der Gründer von Indigicate, das australischen Schulkindern die Kultur der Aborigines näherbringt. Die Indigicate-Workshops finden nicht in Klassenräumen sondern draussen statt. Wir trafen Shawn bei CATS während einer Morgenveranstaltungen im Freien.

Beschreiben Sie uns das Konzept von Indigicate.

Der Grund, warum ich jeden Morgen aufstehe, ist zu verhindern, dass unsere Leute zehn Jahre früher sterben als die durchschnittliche Lebenserwartung in Australien. Das kann man nur erreichen, indem man eine Generation junger Leute verändert. Und die beste Umgebung, um das zu tun, ist draussen, da wir dadurch unser Land mit eigenen Augen betrachten und uns so unseren Fähigkeit stellen können, um uns wohlzufühlen und verwurzelt zu fühlen. Es ist nicht immer leicht, Leute aus der Stadt zu holen, aber Indigicate hat sich auf sichere Ausflüge in Kombination mit indigener Kultur spezialisiert. Es gibt uns jetzt schon seit sechs Jahren. Wir haben in den letzten drei Jahren über 40.000 Schülerinnen und Schüler in unseren Programmen unterrichtet und mit über 50 Schulen zusammengearbeitet. Erst jetzt beginnen wir, Ergebnisse zu sehen.

Werden Sie in irgendeiner Form vom Staat gefördert oder finanzieren Sie sich nur durch private Mittel?

Früher dachte man, dass man nur dann nachhaltigen Wandel schaffen kann, wenn man ein nachhaltiges Unternehmen aufbaut, das nicht vom Staat abhängig ist. Daher haben wir ein Produkt entwickelt, das Schulen interessiert. In australischen Schulen gibt es bereits jedes Jahr von Klasse 3 bis 10 eine Klassenfahrt. Wir haben herausgefunden, dass wir als Naturpädagoginnen und -pädoagogen mit einem Produkt, mit dem wir die Welt verändern können, in diesem Bereich wettbewerbsfähig sind. Dann zahlen Schulen selbst dafür und wir sind nicht von staatlicher Förderung abhängig.

Wie werden Sie von den Kindern wahrgenommen? Sind nicht-indigene Kinder in Australien offen, etwas über die Aborigines-Kultur zu lernen?

Definitiv. Australierinnen und Australier denken manchmal, indigene Kultur hätte nur etwas mit Bumerangs und Didgeridoos zu tun, aber es ist viel mehr und tiefgründiger als das. Wir erhalten Briefe von Eltern, die uns sagen, wie wunderbar die Programme seien und wie sich die Kinder verändert hätten. Mit unserem Ansatz vermitteln wir nicht nur Informationen über Kultur und Geschichte. Es geht um die Veränderung der Person, das Verständnis, wie man miteinander in Verbindung tritt. Die Reaktionen sind sehr beeindruckend. Wir sind nun an dem Punkt, an dem unsere Organisation schnell auf 30 bis 40 Angestellte anwachsen könnte, mit jährlich 20.000 Schülerinnen und Schülern in Ferienlagern. Die jungen Leute sind heute so neugierig und leidenschaftlich. Sie wollen etwas verändern, eine Stimme haben und wir geben ihnen die Plattform dafür. Sie lieben die Idee, dass wir nicht anders sind, dass wir einfach alle zusammen sein sollten. Der Zeitpunkt stimmt also auch.

Auf welches Region in Australien konzentrieren Sie sich? 

Derzeit haben wir unseren Sitz in Melbourne, aber wir arbeiten auch in anderen Staaten und Regionen.

Wenn Sie ein solches Unternehmen aufbauen, geht es nicht darum, zu schnell zu wachsen und Expertise zu verlieren. Denn dann liefern Sie ein Produkt, das nicht den Standard erfüllt Man kann eine Generation nicht verändern, wenn man in Schulen nicht effizient arbeitet. Aber langfristig wollen wir auf nationaler und internationaler Ebene aktiv sein. Wir arbeiten bereits in anderen Ländern. Ich glaube, dass indigene Menschen nicht-indigenen Menschen ein Geschenk machen und sie lehren können, wie sie wieder sie selbst werden.

Wie kamen Sie nach Caux und zu IofC?

Ich nahm 2007 an der APYC von IofC (Asien-Pazifik-Jugendkonferenz) teil. Damals hatte ich viele Probleme, ich war eine sehr unruhige Person. Einige Leute von IofC Australien begannen mit mir darüber zu sprechen, wie ich mein Leben anders angehen könnte. Zur gleichen Zeit hielt ich eine Rede an einer angesehenen Schule in Melbourne und einige Leute dort engagierten sich auch bei IofC. Sie boten mir eine Reise nach Caux an, um am Äquivalent des Caux Peace-and-Leadership-Programms teilzunehmen. Also kam ich her und nahm 2009 an dem Kurs teil.

Es war meine allererste Reise ins Ausland, als 28-jähriger war ich der erste in meiner Familie, der ins Ausland reiste. Natürlich fällt einem hier in Caux sofort die wunderschöne Landschaft auf, aber dann habe ich mich hier daheim gefühlt. Die Seelen und Geister des Gebäudes, der Landschaft und die Leute hier haben mich tief geprägt.

Aber es dauerte noch vier weitere Jahre, bis ich meine Spielsucht, Depression und Ängste überwand und Indigicate gründete – mit 20 Dollar. Die Inspiration kam von zwei Orten. Einerseits von den Bergen zu Hause, die irgendwie zu mir sprachen, und andererseits von der Stärke und der Weisheit der Menschen, besonders der älteren Leute, hier in Caux, die mich sehr gut durchschauten und mir den richtigen Rat gaben.

Und dann war ich erst letztes Jahr wieder für CATS hier, weil ich wirklich an diese Konferenz glaube. Ich glaube zutiefst daran, dass die Stimmen der jungen Generation gehört werden müssen und ich möchte nächstes Jahr einige unserer Kinder mitbringen.

Sie haben also Pläne für zukünftige Projekte zwischen CATS, Caux und Indigicate?

Ja. Um indigene Kinder hierher zu bringen, müssen wir wahrscheinlich eine staatliche Förderung bekommen oder Mittel beschaffen, denn die Reise von Australien kostet viel Geld. Wir beginnen, besser mit der Regierung zusammenzuarbeiten und wollen 10 bis 12 junge Australierinnen und Australier nach Caux bringen. Die eine Hälfte wären Kinder aus der Traumaversorgung und die andere Hälfte indigene Kinder aus einigen der Schulen, in denen wir arbeiten. Wir haben schon dieses Jahr ein paar Kinder hier.

Die ganze Idee ist, dass diese Kinder nach ihrer Heimkehr alles an die Leuten weitergeben, mit denen sie normalerweise zusammen sind. Sie können also etwas bewirken. Ich selbst bin nur ein kleiner Wassertropfen in einem Ganzen, das hoffentlich ein herrlicher Wasserfall der Veränderung in unserem Land wird.

Kinder in indigenen Gemeinschaften in Australien stehen vor grossen Problemen, oder?

Ja, unsere Kinder müssen sich durchbeissen. Allerdings nicht alle, denn es gibt einen Unterschied zwischen wohlhabenden Kindern und denen, die in Armut leben. Es gibt noch viel Leid. Als Aborigines haben wir noch viele Rekorde inne, die wir nicht halten sollten – z. B. den höchsten Anteil jugendlicher Gefängnisinsassinnen und -insassen weltweit und die höchste Suizidrate. Vor zehn Jahren repräsentierten wir 5 % aller jugendlichen Suizide in Australien, heute bis zu 80 %, obwohl wir nur 3 % der Bevölkerung ausmachen. Und leider leben allein in meinem Staat (Victoria) rund 30 % indigener Kinder in staatlicher Fürsorge. Es ist eine Tragödie, weil wir letztendlich mehr Menschen schaffen, die sich in diesem System befinden und die wiederum Kinder haben werden, die in diesem System leben. Wir müssen also unser Bestes geben, um ihnen zu zeigen, dass es Hoffnung, Liebe und Güte in der Welt gibt und dass es ihnen gut gehen wird, dass sie etwas erreichen können.

Wenn wir genügend indigene Kinder erreichen, haben wir in drei, vier Jahren CATS in Australien, das sie selbst leiten. Das wäre der Anfang einer Veränderung, um das Sterben unseres Volkes zu stoppen und hoffentlich die Situation zu verändern. Aber ein Ziel ist es auch, sich auf nicht-indigene Kinder zu konzentrieren, denn sie stellen einen grösseren Teil der Bevölkerung dar und werden daher in der Zukunft grösseren Einfluss auf die Wirtschaft oder die Politik haben.

 

Von Félix Portier, Praktikum Caux Forum-Kommunikation 2018

 

Featured Story
On

zum gleichen Thema

Viki square DE.png

Europa: Mentalität der Vielfalt

Die spanische Journalistin Victoria Martín de la Torre interessiert sich leidenschaftlich für Europa, Vielfalt und interreligiöse Beziehungen. Nach 15 Jahren als Pressesprecherin der Fraktion der sozi...

Polina and Katya square faces DE

Was bedeutet Heimat?

Inmitten der eskalierenden Konflikte unserer Welt erweist sich Kunst als mächtige Kraft, die falsche Vorstellungen in Frage stellt und positive Perspektiven fördert. Die zentrale Rolle von Künstlerinn...

Ignacio India DE blog

Theorie im Geschäftsleben in die Praxis umsetzen

On 25 - 28 January, some 60 CEOs and other senior staff came together under Chatham House Rules to share personal experiences on how to balance a sustainable business with integrity and trust. Executi...

Save the date Caux Forum 2024 DE

Caux Forum 2024: Save the Date!

Save the date für das Caux Forum 2024! In diesem Sommer führt Caux Initiativen der Veränderung in Zusammenarbeit mit Initiatives of Change International und mit Unterstützung weiterer zivilgesellschaf...

Caux Forum opening square website DE

Die Lücke in den globalen Bemühungen um Frieden und Demokratie schliessen

Die Eröffnungsfeier des Caux Forums 2023 gab mit dem Thema "Demokratie stärken: Vom Trauma zum Vertrauen" den Ton der folgenden Konferenzen an. Entdecken Sie den ausführlichen Bericht und erleben Sie ...

Tsvetana 13 Sept 2023

Sinn und Harmonie durch Musik und den Caux Palace

"Es ist so seltsam, dass man den Menschen beibringt, an Gott zu glauben, aber nicht, an sich selbst ". Die Reise der Musikerin Tsvetana Petrushina ist eine inspirierende Geschichte über die Suche nac...

Save the date 2023 square no date

Caux Forum 2023: Save the Date

Wir freuen uns, dass das Caux Forum im nächsten Sommer wieder in Caux stattfinden kann! Erfahren Sie mehr und merken Sie sich das Datum vor! ...

Arpan Yagnik

Arpan Yagnik: Berge erklimmen

Arpan Yagnik, ein Teilnehmer der letztjährigen Konferenz Kreatives Leadership und Teammitglied des IofC Hub 2021, spricht mit Mary Lean über Kreativität, Angst und Berufung. ...

YAP 2021 article square

Young Ambassadors Programme 2021: Zuhören lernen

Als die indonesische Jurastudentin Agustina Zahrotul Jannah bei Google auf das Young Abassadors Programme (YAP) stiess, war sie aufgeregt und enttäuscht zugleich: aufgeregt, weil sie hoffte, dass es i...

Zero waste square for social media

Ein achtsamer Lebensstil ohne Müll

Wie wurde Sofia Syodorenko Teil der Zero-Waste-Bewegung und was bedeutet sie ihr? Sie ist Vorsitzende von Foundations for Freedom und Vertreterin der Zero Waste Alliance Ukraine. Während des Caux-Dial...

Patrick Magee 600x600

‘Wo Trauer beginnt – Brücken schlagen nach der Bombe von Brighton’: Ein Live-Interview mit Patrick Magee

Am 25. August 2021 fand die zweite Veranstaltung der Reihe „Stories for Changemakers“ statt, ein Interview mit Patrick Magee, der 1984 eine Bombe im Grand Hotel in Brighton platzierte, die fünf Mensch...

Summer Academy 2021 screenshot square

Ein Netzwerk zur Schaffung einer sicheren und nachhaltigen Zukunft

Die Sommerakademie über Klima, Land und Sicherheit 2021 brachte 29 Teilnehmende aus 20 Ländern zusammen. Von Ägypten und dem Senegal bis zu den Vereinigten Staaten und Thailand öffneten sich in der le...

Salima Mahamoudou 21 July 2021 FDFA workshop CDES 2021

Eine Welt in Gefahr neu gestalten

Der Caux Dialog über Umwelt und Sicherheit (CDES) 2021 fand vom 20. bis 30. Juli zum zweiten Mal in Folge online statt und umfasste drei offene Plenarsitzungen und sieben Workshops. Die diesjährigen D...

CL 2021 Hope square

Eine Reise von der Unsicherheit zur Chance

Die Konferenz Kreatives Leadership 2021 nahm die Teilnehmenden mit auf eine sechstägige Reise zum Thema „Von der Unsicherheit zur Chance“. Zwischen dem 25. und 31. Juli 2021 führten rund 150 Online-Te...

FDFA Baobabcowherd-1 Noah Elhardt through WikiCommons square with logos

Ein Weg zu Frieden und Wohlstand in West- und Zentralafrika

Im Rahmen ihrer Partnerschaft organisierten Initiativen der Veränderung Schweiz (IofC) und die Abteilung Frieden und Menschenrechte des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA...