"Glaube an das, was dir persönlich wichtig ist, aber gib anderen absolute Freiheit.”
Ein Interview mit Rajmohan Gandhi von Diego de León Sagot
02/05/2017
Vor dem Hintergrund eines weltweit zunehmenden Extremismus und steigender Intoleranz konnten wir kürzlich ein Gespräch mit Professor Rajmohan Gandhi führen, der im April einen öffentlichen Vortrag in London hielt. Wir befragten ihn nach seiner Meinung im Umgang mit dieser besorgniserregenden Situation, dem Schlüssel zum Aufbau von Vertrauen und der Rolle von Caux.
Professor Rajmohan Gandhi zuzuhören ist eine einmalige Erfahrung. Nicht nur auf Grund der Tatsache, dass er als Mohandas Karamchand (Mahatma) Gandhis Enkel dessen Erbe in sich trägt oder weil er ein anerkannter, akkurater und neutraler Biograph ist. Es sind auch sein Blick auf die Welt und seine Einstellung zu den aktuellen Problemen dieser Welt, die ihn zu etwas Besonderem machen.
Rund 350 Menschen warem am Donnerstag, den 20. April 2017 zu dem Event von Initiativen der Veränderung gekommen, um dem 81-jährigen Professor zuzuhören, der bescheiden und auf einfache Art und Weise über seine Sichtweise zu Themen und Problemen in Grossbritannien, Europa und der Welt sprach.
Anderen zuhören, das Eingeständnis, dass keine Gruppe besser als die andere sei oder die Erkenntnis, dass Hass unter allen Umständen angegangen werden müsse waren nur drei der vielen Empfehlungen, die er in seiner Rede weitergab. Alles erschien sehr vereinfacht und doch zutiefst bedeutungsvoll und relevant vor dem Hintergrund jener Extreme, denen wir uns heute gegenübersehen. Es ist auf den ersten Blick schwer zu glauben, dass Zuhören oder Dialog effektive Massnahmen im Umgang mit einem gewaltbereiten Extremismus, Krieg, Zwangsumsiedelung, Polarisierung, Exklusion oder Diskriminierung - um nur einige der aktuellen Phänomene anzusprechen - sein könnten. Und doch sollten sie erste Schritte sein.
"Ich glaube nicht, dass es einen Schalter gibt, den wir drücken können, um dann zu hoffen, dass diese Probleme dadurch schneller gelöst werden können.", erklärte Gandhi mit einer guten Dose Realismus in einem Interview am Tag nach seiner öffentlichen Ansprache.
"Das erscheint mir sehr unwahrscheinlich", fuhr er fort. "Aber ich denke, wir sollten eine Kultur fördern, in der jeder die Freiheit besitzt, zu denken, was er will und wir einander trotzdem nicht dazu ermutigen, die eigenen Ansichten anderen überzustülpen. Eine Kultur der Toleranz, in der andere nicht genötigt werden, in der wir anderen Menschen komplette Freiheit überlassen. Wenn wir dies fördern, wenn wir dies umsetzen, wäre dies ein Weg, um der Tendenz der heutigen Welt zu Extremismus zu begegnen.", erklärte er.
"Hatred kills us, it doesn't kill the enemy". Professor Rajmohan Gandhi. London 20 April 2017
Er sprach sich auserdem für eine hassfreie Welt aus. "Hass bringt UNS um, nicht den Feind.", hatte er zu dem buntgemischten Publikum am Vortag gesagt. Im Laufe unseres Interviews ging er noch weiter und erklärte, es sei notwendig, zwischen Wut und Hass zu unterscheiden.
"Manchmal ist Wut sehr wichtig. Ich denke nicht, es sollte ein permanenter Zustand sein, aber er kann notwendig sein, wenn etwas Schreckliches geschieht. Wir wollen keine Weichspüler-Welt. Wir wollen keine bequeme Welt. Ja, wir wollen zornige Menschen, die einen Teil ihrer Wut loswerden können. Aber wir wollen ganz sicher, dass keine Bitterkeit zurückbleibt.", fügte er hinzu. "Viele von denen, die sich von diesem Hass befreien konnten, setzen sich nach wie vor für ihre Überzeugungen ein, kämpfen für Gerechtigkeit, für Gleichheit. Wenn wir guten Willen, Mitgefühl, Liebe und Vergebung fördern wollen, sollten wir uns daran erinnern, dass Gerechtigkeit dabei eine wichtige Rolle spielt. " Er erklärte weiterhin, Menschen in verschiedenen Teilen der Welt oder in bestimmten Situationen müssten teilweise sehr lange auf Gerechtigkeit warten. "Wir müssen dieser Realität ins Auge sehen und wir müssen, wenn nötig, den Mut haben, Ungerechtigkeit anzusprechen. Ungerechtigkeit einen Namen zu geben ist notwendig, um sie aus der Welt zu schaffen.", sagte er.
Nach den Bausteinen von Vertrauen in der Welt befragt, erklärte er voller Nachdruck: "Zuhören ist nicht nur der erste, sondern auch der zweite und der dritte Schritt. Wir können den anderen nie zuviel zuhören, ihrer Meinung, ihren Geschichten, ihren Problemen und dies dann mit dem in Verbindungen bringen, was uns wichtig ist. Wenn ich den Sorgen der Welt zuhöre, ihrem Schmerz und ihrem Hoffen, ist dies der Beginn einer Art des Vertrauensaufbaus.", unterstrich er.
"Caux bedeutet Hoffnung"
Professor Gandhi ist ehemaliger Präsident von Initiativen der Veränderung International (2009-2010) und steht seit 1956 in Verbindung mit Caux. Danach befragt, erklärte er:
“Es bedeutet Hoffnung. Hoffnung, dass zumindest ein paar Schritte unternommen werden, die uns einer Lösung, einer Heilung, einer Aussöhnung näher bringen. Nicht die Hoffnung, dass alles perfekt wird, aber die Hoffnung, dass der nächste notwendige Schritt gefunden wird. Es bedeutet ausserdem die Welt, da dort normalerweise Menschen von überall her zusammenkommen.", sagte er. Seit über 70 Jahren treffen sich dort hunderte von Menschen verschiedenster Herkunft mit unterschiedlichem Hintergrund, um zu diskutieren, sich auszutauschen und aktuelle Themen zu besprechen. Mehr als 1500 Teilnehmende aus über 100 Ländern nahmen im vergangenen Jahr am Caux Forum teil.
"Wenn ich an Caux denke, denke ich auch daran, wie es von einfachen Schweizern - Einzelpersonen und Familien -ins Leben gerufen wurde, die sich (1946) trafen und durch ihr Opfer diesen wunderschönen Ort schufen.", erinnerte sich Gandhi.
“Dort herrscht eine Tradition der Offenheit. Menschen hören anderen Standpunkten zu, jeder fühlt sich wohl, niemand wird bedroht. Menschen können sich frei ausdrücken, ohne sich schämen zu müssen, ohne Angst zu haben. Caux spielt eine sehr hilfreiche Rolle, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der niemand bedrängt wird, und es bietet einen guten Rahmen, um Freundschaften zu schliessen, vom Anderen Gutes zu erwarten.", so Gandhi. "In Caux wurde ich immer wieder an Entscheidungen erinnert, die ich getroffen habe. Es war immer eine Zeit der Selbsterfahrung, in der ich mir meine eigenen Fehler eingestehen musste. Aber vor allem gibt mir Caux eine Perspektive und Erneuerung.", sagte er abschliessend.
Das Caux Forum (der neue Name der ehemaligen Caux-Konferenzen) bietet eine sicheren und privilegierten Raum, um Menschen, Gruppen und Organisationen aus aller Welt zu inspirieren, sie auszurüsten und zu vernetzen, damit effektiv und innovativ Vertrauen aufgebauet sowie ethisches Leadership, eine nachhaltige Lebensweise und menschliche Sicherheit gefördert werden kann.
In diesem Sommer befasst sich das Caux Forum mit menschlichen Potential zur Entfaltung eines globalen Wandels. Alle Events 2017 befassen sich hierbei mit Extremen jeglicher Art.
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