Der Beitrag von Geschichten zu Heilung und Aussöhnung
Tools for Changemakers 2019
04/08/2019
Marc Isserles bewegende One-Man-Show „Rettet die Kinder“ entfaltet ihre besondere Wirkung, wenn man entdeckt, dass seine Grosseltern 1945 als jüdische Flüchtlinge im Caux Palace Zuflucht fanden. Das Stück wurde als Teil der Konferenz Tools for Changemakers aufgeführt und trug die Botschaft, sich zunächst mit der eigenen Vergangenheit auszusöhnen, wenn man die Zukunft verändern möchte.
Marc Isserle ist dieses Jahr nicht die einzige Person beim Caux Forum, deren Angehörige während des Zweiten Weltkriegs im Caux Palace lebten, als dieser als Flüchtlingsheim für verfolgte Minderheiten diente. Shoshana Faire läuft ebenfalls durch jene Flure, wo ihre Grosseltern einst Zuflucht suchten.
Marc, ein Rechtsanwalt und Musiker aus Genf, und Shoshana, eine australische Friedensförderin und Aktivistin, führen sehr unterschiedliche Leben. Aber ihre gemeinsame Geschichte hat Shoshana bewegt und nach dem Stück von Marc sprachlos zurückgelassen. Die bewegende Geschichte der Verfolgung entspricht auch den Erfahrungen ihrer Grosseltern, sagt sie.
Menschen aus dem Nahen Osten, Deutschland und anderen Ländern kamen später auf Marc zu, um ihm zu sagen, wie sehr sie sein Stück berührt habe. „Das unterstreicht die Tatsache, dass die Kategorien und Zuordnungen, denen wir uns unterwerfen, uns nicht unserer Fähigkeit berauben sollten, menschlich zu sein“, sagt er. Die einzige Möglichkeit, wie wir für Frieden und Aussöhnung wirken können, sei, Menschen auf menschlicher Ebene zu begegnen, unabhängig von Interessen, Glauben oder ethnischer Zugehörigkeit. Dies gelte nicht nur in der sogenannten Flüchtlingskrise, sondern auch innerhalb von konfliktbelasteten Gesellschaften von Syrien bis Tibet. Die Barrieren zu durchbrechen, die unserer Fähigkeit im Weg stehen, mit anderen in Kontakt zu treten, sei der erste Schritt, um Gewaltverbrechen, Gewalt und Diskriminierung zu begegnen.
Mark zitierte die romantische Komödie aus dem Jahr 2002, My Big Fat Greek Wedding – Hochzeit auf Griechisch, als Beispiel dafür, dass man Vorurteile, Zuordnungen und Stereotypen erkennen müsse, um Frieden zu schaffen. Er geht davon aus, dass wir diejenigen verstehen und uns mit ihnen aussöhnen müssen, die als „anders“ gebrandmarkt werden. Eine ideale Möglichkeit dafür, so Marc und Shoshana, sei das Erzählen von Geschichten.
Shoshana erzählt ihre Geschichte im Rahmen der Ausbildung von Friedensschaffenden. Marc erzählt sie durch Musiktheater. Beide bewundern das Ethos des Geschichtenerzählens beim Caux Forum und sagen, es sei entscheidend, jungen Generationen dabei zu helfen, ihre Vergangenheit zu verstehen. Nur so könnten sie die richtigen Veränderungen herbeirufen. Der Geschichtsunterricht und die historischen Fakten in der Schule seinen eine völlig andere Lernmethode als die Konfrontation mit einer wahren Lebensgeschichte und führten zu anderen Ergebnissen. Geschichten könnten Friedensschaffenden jenes Mitgefühl vermitteln, das sie bei ihrer Arbeit brauchen.
Das mit der Familiengeschichte verbundene Trauma führte dazu, dass in Shoshanas Familie kaum darüber gesprochen wurde. Sie erzählt, wie wichtig es sei, die Bewältigung von Traumata und das Erzählen von Geschichten schon in frühen Jahren zu fördern.
Marc und Shoshana sind sich einig, dass auch zukünftig ein generationsübergreifender Dialog entscheidend sei, um die nächste Generation von „Botschafterinnen und Botschaftern der Toleranz“ auszubilden. Geschichten ermöglichen Empathie und Offenheit gegenüber anderen. Dadurch werden die drei Prozesse - persönliche Geschichten erzählen, Stereotypen aufzudecken und die nächste Generation auszubilden - untrennbar miteinander verbunden. Das Caux Forum fördert diese Prozesse. Dies ist der Grund, warum Marc und Shoshana hierher zurückkommen.
Text: Emma Beuster
Fotos: Leela Channer