Abschied von Mohamed Sahnoun
Von Rainer Gude und John Bond
25/09/2018
In Zeiten, in denen sich die Welt vermehrt nach würdigen und weisen Führungspersönlich- keiten sehnt, sind wir zutiefst betroffen, so kurz nach dem Tod von Kofi Annan nun auch seinen engen Freund und Mentor Mohamed Sahnoun zu verlieren. Als weltweit anerkannter Diplomat, ehemaliger Präsident von IofC International und Gründer des Caux Forums für menschliche Sicherheit verkörperte Botschafter Sahnoun die Redewendung „Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest“.
Botschafter Mohamed Sahnoun, der bei seinen Kollegen einfach als Mohamed bekannt war, sprach leise und war ein gütiger und bescheidener Mann. Auf den ersten Blick war es schwer zu glauben, dass es sich hier um einen weltweit anerkannten Diplomaten und eine internationale Persönlichkeit handelte. Aber immer wenn wir das Vergnügen hatten, mit ihm zu sprechen oder ihn zur UN zu begleiten (was er, solang es seine Gesundheit erlaubte, fortsetzte), bekam man einen Eindruck von einem Leben, das vollständig in den Dienst an der Menschheit gestellt wurde, nicht nur aufgrund der Bewunderung und des Respekts, die andere ihm entgegenbrachten, sondern auch durch seine vielen Anekdoten aus fast aller Welt, die sich auf viele wichtige diplomatische und historische Ereignisse der letzten 40 Jahre bezogen. Er kannte den Hintergrund von fast jedem grossen globalen Ereignis ... und dennoch hatte man nie den Eindruck, dass es um ihn ging, wenn er sprach, sondern um die Menschen, mit denen er zusammengearbeitet hatte und denen er dienen wollte.
Seine Aufgaben und Titel könnten mehrere Leben füllen. Er war stellvertretender Generalsekretär bei der Organisation für Afrikanische Einheit und bei der Liga der Arabischen Staaten, algerischer Botschafter bei den Vereinten Nationen, in Frankreich, Deutschland und Marokko. Er war Sonderberater des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, und vertrat seti 1992 die UN in verschiedenen Funktionen. So war er u.a. Sonderbeauftragter des Generalsekretärs in Somalia und der Region der Grossen Seen. Er arbeitete für den internationalen Rat der Earth Charter-Initiative und für die Weltumwelt- und Entwicklungskommission (die Bruntland-Kommission) und blieb ein grosser Verfechter einer nachhaltigen Entwicklung. Er trug zur Entwicklung der „Schutzverantwortung“ als Konzept in internationalen Beziehungen bei und war Vorstandsmitglied der Friedensuniversität, der International Crises Group und von Interpeace sowie stellvertretender Vorsitzende des Globalen Zentrums für Schutzverantwortung.
Obwohl er sich weiterhin engagierte und seine Zeit vielen Fragen widmete, waren wir bei Initiativen der Veränderung sehr geehrt, als ihm 2006 sein Freund Cornelio Sommaruga, ehemaliger Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, als Präsident von Initiativen der Veränderung International nachfolgte. 2008 initiierte er gemeinsam mit Cornelio Sommaruga das Caux Forum für menschliche Sicherheit, dem er 5 Jahre vorstand und durch dessen neuentstandenes Konzept er ein komplett neues Netzwerk engagierter Praktikerinnen und Praktiker nach Caux brachte.
Wie er in einem Interview mit der Huffington Post sagte: „Die Idee entstand durch das Gefühl einer grossen Unsicherheit in der heutigen Welt. Unsicherheit entsteht durch Angst. Wir müssen uns die Ursachen dieser Angst anschauen und deutlich engagierter und umfassender gegen sie vorgehen.“ Er wählte Caux als Veranstaltungsort, weil „an diesem Ort interreligiöser Dialog fest etabliert ist. (...) Caux war ein sicherer Ort, an dem Menschen Vertrauen zueinander aufbauen konnten.“
Mohamed war überzeugt, dass menschliche Sicherheit vom Fortschritt in fünf Bereichen abhängig sei, die er als gerechte Regierungsführung, inklusive Wirtschaft, interkulturellen Dialog, ökologische Nachhaltigkeit und die Aufarbeitung historischer Verletzungen definierte. „Das Verständnis von Sicherheit dreht sich so oft nur um die rein physische Sicherheit“, sagte er. „Aber menschliche Sicherheit ist die Grundlage unserer Existenz. Mir ist besonders die Heilung von Erinnerungen wichtig. In Algerien, Nordirland, dem Balkan und anderen Orten mit langanhaltendem Schmerz und Gewalt gehen die Gefühle so tief, dass besondere Anstrengungen nötig sind.“
Um das Programm voranzubringen, gründete Sahnoun eine „Koalition des Gewissens“ und vereinte integere und leidenschaftliche Menschen, um den negativen Einfluss von Gier und den Kampf um Macht zu überwinden. „Wir stärken gute Regierungsführung an der Spitze, indem wir sie bis ganz nach unten zu ihren Wurzeln in Familie, Elternschaft und lokalen Gemeinden fördern“, sagte er. „Wir können unsere Regierungen auffordern, nachhaltige Politik zu betreiben, wenn wir zunächst unser eigenes Leben kritisch betrachten.“
Er war zutiefst davon überzeugt, dass Veränderung beim Einzelnen beginne, bei jedem persönlich, und er hat diese Botschaft selbst wunderbar verkörpert.
In Caux konnte Mohamed „zu Hause“ interagieren und seine grosse Weisheit und Erfahrung an Menschen aus aller Welt und aller Altersstufen weitergeben. Aber trotz all dessen, was er erreicht hatte, und trotz seiner Erkenntnisse waren es seine Menschlichkeit und Wärme, die die Menschen am meisten berührten. Wie ein so „wichtiger“ und „fähiger“ Mensch so einfach und freundlich bleiben könne, hörte man oft von den Jugendlichen, die ihn kennengelernten.
In den letzten Jahren mit uns in Genf waren es seine Beharrlichkeit, seine Entschlossenheit und auch sein Optimismus, die uns berührten. Egal, wie langsam er ging oder welches andere Gebrechen er hatte, nichts konnte ihn davon abhalten, die Nachrichten zu verfolgen und zu jeder Sitzung der UN zu gehen, an der er teilnehmen konnte. Egal, wie viele schlechte Nachrichten es in der Welt oder in seinem eigenen Leben gab, nichts konnte ihm sein einfaches aber entschlossenes Lächeln nehmen. Obwohl er in seinem Leben vielen Problemen begegnet war, schienen seine Augen niemals den Schimmer der Hoffnung zu verlieren, für die wir ihn immer gerne in Erinnerung behalten.
Wir sind unendlich dankbar für alles, was Mohamed Initiativen der Veränderung und der Welt gegeben hat, und wir werden versuchen, seine Botschaft weiterzugeben und ihr treu zu bleiben.
- Sehen Sie Mohamed Sahnouns opening speech oeim 3. Caux Forum für menschliche Sicherheit 2010, und ein interview, das mit ihm geführt wurde.
- Das Buch von Mohamed Sahnoun "Mémoire Bléssée" erschien 2007 in französischer Sprache bei Presses de la Renaissance.