Kawser Amine: Das Feld für Mädchen frei machen
Weltfrauentag 2023
07/03/2023
Die afghanische Fussballspielerin und Frauenrechtlerin Kawser Amine war Gastrednerin bei einer Menschlichen Bibliothek im Rahmen der Online-Konferenz Kreatives Leadership 2022 zum Thema Lebe deine Möglichkeiten - Von der Heilung zum Handeln. Am Weltfrauentag 2023, der die Errungenschaften von Frauen in aller Welt feiert, spricht sie über ihren bemerkenswerten Weg und ihren Kampf für die Freiheit jeder Frau, ihr Potenzial zu entfalten.
Ob sie nun auf dem Fussballplatz steht oder sich für die Rechte der Frauen einsetzt: Kawser Amine glaubt nicht ans Aufgeben. Acht Jahre lang war sie Mitglied der ersten Frauenfussball-Nationalmannschaft Afghanistans - ein riskantes Unterfangen in einer Gesellschaft, in der ein Verstoss gegen kulturelle Konventionen das Leben kosten kann.
Dreimal pro Woche fuhren sie und ihre Schwester zum Hubschrauberlandeplatz der Armee in Kabul und passierten auf dem Weg zum Training hinter hohen Mauern 12 Kontrollpunkte.
Einmal explodierte eine Bombe hinter ihnen, als sie gerade den Bus nach Hause besteigen wollten.
"Es war sehr schwer, aber wir haben nicht aufgegeben, denn sonst hätten die Frauen und Mädchen, die hinter uns standen, keine Chance gehabt.
Wir haben das Feld für die Mädchen frei gemacht. Vor dem Regimewechsel spielten Hunderte von Mädchen in Afghanistan Fussball. Ich war so stolz!"
Kawser war erst neun Jahre alt, als sie 2007 in die Mannschaft aufgenommen wurde. (Sie erklärt, dass die Frauennationalmannschaft aufgrund kultureller Normen aus Jugendlichen und Teenagern besteht.) Ihre Mutter müsse eine bemerkenswerte Frau sein, dass sie ihren Kindern erlaubte, angesichts solcher Risiken ihren Träumen zu folgen? Ja, stimmt Kawser zu: "Sie hat uns bei der Fortsetzung unserer Ausbildung und der Ausübung unseres Sports unglaublich unterstützt."
Kawser ging 2013 an die American University of Afghanistan (AUAF), um Politikwissenschaften zu studieren, heiratete 2014 und trat im darauffolgenden Jahr vom Profifussball zurück, als sie mit ihrer Tochter schwanger war. Im Jahr 2016 wurde die AUAF angegriffen. Dreizehn Menschen wurden getötet und 50 verletzt. Die Taliban schrieben daraufhin einen Brief an alle Studentinnen und drohten, sie zu töten, wenn sie weiterhin dort studieren würden. Die Universität wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen und Kawser wechselte an die Indian School of Business Management in Neu-Delhi, wo sie ihren Abschluss in Management mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen absolvierte.
Von Afghanistan in die USA
In der Zwischenzeit suchten sie und ihr Mann nach Möglichkeiten, zu ihrer eigenen Sicherheit und für die Zukunft ihrer Tochter das Land zu verlassen. "Afghanistan ist kein Land, in dem es für Mädchen sicher ist, etwas auszuprobieren oder grosse Träume zu haben. Ich wollte nicht, dass sie das erlebt, was ich erlebt hatte." Schliesslich reisten sie 2019 im Rahmen eines Programms, das ihnen offenstand, in die USA aus, da ihr Mann für das amerikanische Militär und die NATO arbeitete.
Die Umstellung war schwierig. In Afghanistan hatte Kawser als politische Beraterin, Gender-Beraterin und Programmdirektorin für die Regierung gearbeitet. "Ich hatte Mühe, mich als Einwanderin in San Francisco zurechtzufinden, aber ich habe nie daran gedacht, meinen Aktivismus aufzugeben", sagt sie. "Ich bekam einen Job als Bankangestellte, aber mein Herz und meine Gedanken waren weit weg von meinem Job." Dann begann Covid, und da Kawser schwanger war, riet ihr Arzt ihr, zu kündigen.
In den folgenden 18 Monaten, in denen ihr Sohn geboren wurde, begann Kawser mit Hilfe einer Freundin und des von ihr geschaffenen Netzwerks, ihre eigene Stiftung,Women’s Solidarity for Peace and Leadership aufzubauen. Dann, im August 2021, fiel Kabul. "Ich wusste von Anfang an, dass die Taliban die Aktivitäten von Mädchen und den Zugang von Frauen zu ihren Grundrechten unterbinden würden." Sie entwarf daraufhin die Social-Media-Kampagne, Stand for Girls' Education in Afghanistan.
Neue Initiativen
Als ein Jahr später die 22-jährige Mahsa Amini im Iran zu Tode geprügelt wurde, weil sie sich angeblich nicht an die Kleidervorschriften für Frauen gehalten hatte, erkannte Kawser, dass ihr Engagement eine breitere Öffentlichkeit erreichen musste. Sie rief Join My Voice ins Leben, eine internationale Frauensolidaritätskampagne, die Frauen dazu auffordert, ihre Geschichten zu erzählen. "Die Kampagne ist darauf ausgerichtet, auf Probleme von Frauen, wie Ungleichheit, sexuelle Übergriffe und Gewalt aller Art, zu reagieren und ihre Geschichten und Erfahrungen zu verbreiten", sagt sie.
Kawser glaubt an die Kraft des Sports, Veränderungen zum Besseren zu bewirken. "Fussball ist für mich nicht nur ein Spiel, sondern eine Sprache der Einheit, der Kraft, der Solidarität und des Friedens."
Neben ihren Social-Media-Kampagnen gründet Kawser die Amine Soccer Academy, um benachteiligten Kindern zu helfen, ihren Traum vom Fussballspielen zu verwirklichen. "Ich möchte ihnen Selbstvertrauen vermitteln, das ihnen der Sport gibt. Fähigkeiten, um erfolgreich zu sein. Und den Glauben, dass sie zu Grossem fähig sind."
Ihr Plan stösst bei den lokalen Behörden und Schulen auf grosse Resonanz, und Organisationen wie die US Soccer Foundation und Beyond Sport haben sich mit ihr zusammengetan.
Sie beteiligt sich auch an einer Initiative der National Football League, die Fussball in High Schools als Mittel zur Suchtprävention fördert. Kürzlich sprach sie an einer High School in Arizona und war erstaunt über die herzliche Reaktion der Schülerinnen und Schüler. "
"Ich habe nie aufgegeben", sagte sie ihnen. "Ich habe für meine Ausbildung gekämpft. Ihr habt viele Möglichkeiten. Bitte nutzt sie, um eure Gesellschaft zu verändern. Ich komme aus einem Land, das mehr als 45 Jahre Krieg und Unterdrückung erlebt hat. Aber anstatt ein Opfer zu werden, habe ich mich entschieden, meine Wut in Taten umzusetzen."
Ein Aufruf zur Gleichstellung der Geschlechter in Afghanistan
Am Internationalen Frauentag ruft Kawser die führenden Politikerinnen und Politiker der Welt auf, sich für die Gleichstellung der Geschlechter in Afghanistan einzusetzen. "Frauen in Afghanistan dürfen nicht einmal ohne männliche Begleitung aus dem Haus gehen. Können Sie sich vorstellen, wie es in Familien ist, in denen es keine Männer gibt? Ich höre diese Geschichten jeden Tag und jede Nacht, und es bricht mir das Herz."
Die Konferenz Kreatives Leadership - Lebe deine Möglichkeiten - Von der Heilung zum Handeln forderte die Teilnehmenden auf, ihr Potenzial zu erkunden, um die Welt zum Besseren zu verändern. Fast 200 Menschen aus der ganzen Welt nahmen daran teil. Kawsers Mission war ein perfektes Beispiel dafür, wie dies möglich gemacht werden kann.
Lesen Sie den ausführlichen Bericht zu Kreatives Leadership 2022
Fussball ist für mich nicht nur ein Spiel, sondern eine Sprache der Einheit, der Kraft, der Solidarität und des Friedens.
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Sehen Sie Kawsers Einführung zu Women’s Solidarity for Peace and Leadership
- Interview von Mary Lean
- Fotos mit freundlicher Genehmigung von Kawser Amine