Die Kraft des kreativen Ausdrucks bei der Heilung durch Konflikte gespaltener Gemeinschaften
Ein Blog von Maruee Pahuja, Kreatives Leadership
16/10/2024
Maruee Pahuja (Indien) ist Mitglied der Jugendinitiative Kreatives Leadership von Caux Initiativen der Veränderung. Sie ist ausserdem Expressive-Arts-Therapeutin und Mitglied der Initiative Begegnungen zu Kunst und Frieden, die Anfang des Jahres von der Caux Initiativen der Veränderung ins Leben gerufen wurde.
Bis 2030 soll der Caux Palace, unser Zentrum für Friedenförderung und Dialog in der Nähe von Montreux, ein weltweit anerkanntes Tagungszentrum werden, das sich für die Rolle von Kunst und Dialog einsetzt, um Menschen zu inspirieren, zu vernetzen und ihnen jene Fähigkeiten und Qualitäten zu vermitteln, die sie zur Förderung des Friedens benötigen.
Am 15. Oktober 2024 war Maruee Podiumsteilnehmerin bei der diesjährigen Kofi-Annan-Friedensansprache, wo sie mit Mary Robinson, der ersten Präsidentin Irlands, ehemaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte und Vorsitzenden von The Elders, und anderen jungen Friedensstiftern über Themen wie die Förderung der sozialen Integration, die Gleichstellung aller Geschlechter, die Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Stärkung der Rolle der Zivilgesellschaft diskutierte.
Dieser Blog basiert auf Maruees Beitrag zur Kofi-Annan-Friedensrede auf der Genfer Friedenswoche 2024.
Als jemand, die an der Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft und Friedensförderung arbeitet, habe ich aus erster Hand erlebt, wie kreativer Ausdruck ein unglaublich mächtiges Werkzeug sein kann, um von Konflikten betroffene Gemeinschaften zu heilen.
Die Kunst hat mich zur Friedensförderung geführt, und durch meine Arbeit habe ich erlebt, wie intermodale Kunstansätze einen sicheren Raum schaffen, in dem Menschen ihre Gefühle ausdrücken und mit der Heilung beginnen können. Ich habe Workshops mit syrischen Flüchtlingen im Libanon, somalischen und afghanischen Flüchtlingen in Indien und tibetischen Flüchtlingen geleitet und setze meine Bemühungen nun mit jungen Führungskräften, Friedensschaffenden und humanitären Helfenden, die sich für den Frieden einsetzen, fort. Mein fortwährendes Streben nach der Anwendung kunstbasierter Ansätze in der Friedensförderung hat nun eine neue Form angenommen, indem ich mich mit Personen befasse, die, basierend auf John Paul Lederachs Forschung und Konzept, auf den Führungsebenen zwei und drei der Friedensförderung tätig sind (Basis- und mittlere Führungsebene).
Ich biete Workshops, Einzeltraining und mentale Gesundheitsfürsorge für diejenigen an, die selbst Friedensschaffende sind. Wir sind uns des Leides der Welt bewusst – seien es Konflikte, Kriege, Hurrikane, Völkermorde oder die Schreie von Mutter Erde, auch bekannt als Klimakrise.
Menschen, die sich in irgendeiner Form für den Frieden einsetzen, sind oft mit Burnout, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit und Verzweiflung konfrontiert, ohne dass sie ihren Schmerz loswerden können. Diese emotionale Last lässt den Weg nach vorne weit und anstrengend erscheinen, vor allem durch das überwältigende Gefühl, „sich nicht gut zu fühlen“. Um weiterhin das zu tun, woran wir glauben – Arbeit, die das Wohlergehen anderer fördert – müssen wir auch Wege finden, für unsere eigene Lebenskraft zu sorgen und diese zu stärken. Wenn die Gemeinschaft der Friedensschaffenden gefördert wird, kann sie einen Dominoeffekt in den Gemeinschaften, denen sie dient, auslösen.
Jede Erfahrung, die ich gemacht habe, sei es mit Friedensschaffenden, jungen Führungskräften, Flüchtlingen, Binnenvertriebenen oder gefährdeten Bevölkerungsgruppen, bestätigt die tiefgreifende Wirkung kreativer intermodaler Ansätze – bildende Kunst, Musik, Bewegung, kreatives Schreiben, Theater, Fotografie – bei der Wiederherstellung von Hoffnung und Widerstandsfähigkeit angesichts von Widrigkeiten.
Ein besonders eindrucksvoller Moment ereignete sich während eines intermodalen Workshops für Ausdruckskunst zum Thema „Heimat und Hoffnung“ mit afghanischen und somalischen Flüchtlingen. Eine Frau, eine afghanische Geflüchtete, die zum ersten Mal in Indien war, erzählte ihre Geschichte, warum sie aus ihrem Land fliehen musste. Diese Erzählung entstand durch ihre Auseinandersetzung mit dem Prozess der expressiven Kunst. Zum ersten Mal fühlte sie sich auch sicher genug, um mutig über ihre Verletzlichkeit zu sprechen, was ein neu entdecktes Gefühl der Verbundenheit mit ihrer Gemeinschaft und ein Gefühl der Befreiung förderte. Es war eine eindringliche Erinnerung daran, dass Leid und Depressionen uns isolieren können, und obwohl das Gegenteil von Depression Freude ist, beginnt Freude mit Ausdruck.
Kunst als sicherer Raum für Heilung
Die Kunst schafft einen sicheren Raum für Einzelpersonen und Gemeinschaften, in dem sie ihre Trauer ausdrücken können, und verwandelt Gefühle von Hass und Schmerz in Heilung. Dieser Prozess öffnet nicht nur das Herz der Person, die ihre Emotionen ausdrückt, sondern auch die Herzen derjenigen, die dies miterleben. Auf diese Weise können Gemeinschaften wieder aufgebaut werden – indem wir unsere Herzen öffnen und Raum für Empathie, Mitgefühl, Verständnis und Verbundenheit schaffen.
Es gibt immer noch nicht genug Räume für den Dialog zwischen gespaltenen Gemeinschaften durch die Künste. Programme wie die „Arts and Peace Encounters“ der Caux Initiatives of Change Foundation arbeiten daran, mehr dieser Räume zu schaffen, und wir würden uns freuen, wenn Sie an diesem Programm teilnehmen würden. Wenn Menschen durch kreativen Ausdruck zusammenkommen, öffnen sie ihre Herzen, um tief zu fühlen, und es hilft, Mitgefühl, Empathie und die gemeinsame menschliche Erfahrung an die Oberfläche zu bringen.
Die Rolle der Kunst für Vorstellungskraft und Hoffnung
Die Kunst spielt eine entscheidende Rolle bei der Erweiterung unserer Vorstellungskraft und der Infragestellung einschränkender Überzeugungen. Sie gibt uns die Fähigkeit, mit den Unwägbarkeiten des Lebens zu tanzen, Geschichten zu erzählen und die Hoffnung wiederzuentdecken. Wie der Philosoph Blaise Pascal einmal sagte: „Man sollte immer etwas Schönes im Kopf behalten.“ Kunst ermöglicht es uns, in diese Schönheit einzutauchen und uns von ihr einnehmen zu lassen, und führt uns sowohl durch individuelle als auch kollektive Heilungsprozesse.
Kunstbasierte Interventionen gehen über den einfachen Ausdruck hinaus – sie bieten eine intuitive Erfahrung, die Teile unseres Bewusstseins anspricht, auf die wir durch reflektiertes Denken allein nicht immer zugreifen können. Diese Interventionen sind nicht nur für Künstlerinnen und Künstler gedacht, sondern für alle, die Heilung, Regeneration oder das Miterleben der Geschichten anderer suchen.
Einzigartige Ausdrucksformen und gemeinsame Menschlichkeit würdigen
Ich habe noch nie eine Person getroffen, die nicht von Konflikten betroffen ist, und ich habe auch noch nie jemanden getroffen, der nicht von Natur aus fantasievoll ist – das macht uns alle zu eigenständigen Künstlerinnen und Künsltern. Egal wie kultiviert oder reif eine Person erscheinen mag, wir alle haben als Kinder angefangen, die furchtlos und ohne Vorurteile in einer fantasievollen Welt lebten. Um Gemeinschaften zu heilen, müssen wir zuerst Einzelpersonen heilen und ihre einzigartigen Erfahrungen und die Gemeinschaften, denen sie angehören, anerkennen.
Die Aufgabe der Kunst ist es, diesen Schmerz zu ehren und aktive Hoffnung zu fördern. Sie ermöglicht es uns, Zeugnis von menschlicher Würde und Kreativität abzulegen, selbst angesichts von Zerstörung und Hoffnungslosigkeit. Wenn wir uns gegenseitig die Erlaubnis geben würden, unser Innerstes auszudrücken, würden wir sehen, dass keine künstlerische Ausdrucksform der anderen gleicht und dass wir alle eine einzigartige Ausdruckssprache haben, was darauf hindeutet, dass wir alle einzigartige Perspektiven und Erfahrungen haben. Die Kunst bietet Raum für diesen einzigartigen Ausdruck und ehrt gleichzeitig unsere gemeinsame Menschlichkeit.
Die Wissenschaft der Künste in der Friedenskonsolidierung
Es gibt gut recherchierte Belege, die die Rolle der Künste in der Friedenskonsolidierung unterstützen. Hier sind einige Beispiele dafür, wie sich die Künste als wirksam erwiesen haben:
• Die Künste können als Ressource für die Konflikttransformation eingesetzt werden, indem sie sich auf die menschlichen Fähigkeiten zu Empathie und Mitgefühl stützen.
• Sie helfen beim Aufbau konstruktiver Beziehungen, die auch bei erneuten Konflikten belastbar bleiben.
• Künstlerischer Ausdruck dient als Intervention zur Heilung von Traumata, zur psychischen Gesundheit und zur psychosozialen Unterstützung nach gewaltsamen Konflikten.
• Kunst kann Gesellschaften dabei helfen, Konflikte auf konstruktive, gewaltfreie Weise zu bewältigen, obwohl künstlerische Methoden in Friedensprozessen oft übersehen werden.
Darüber hinaus kann Kunst meiner Erfahrung nach auch als politisches Instrument eingesetzt werden, das uns wachrüttelt und uns für Perspektiven jenseits unserer eigenen begrenzten Sichtweisen sensibilisiert. Filme sind beispielsweise ein wirkungsvolles Medium, das uns das breite Spektrum menschlicher Emotionen erleben lässt – Leid, Hoffnung und alles dazwischen. Diese Ausdrucksformen können die Zeit überdauern und uns an unsere gemeinsame Menschlichkeit erinnern, indem sie unseren Horizont und unsere Perspektiven erweitern.
Meine Hoffnung für die Zukunft
Meine Hoffnung und meine Arbeit in diesem Leben sind es, den kreativen Geist, der in jedem und jeder von uns existiert, neu zu entfachen und diese Kraft zu nutzen, um inneren Frieden zu kultivieren, der sich nach aussen in Gemeinschaften, Systeme und schliesslich in die Welt ausbreitet.
Kunstbasierte Ansätze müssen bei der Konfliktlösung ernster genommen werden. Die Künste haben das Potenzial, Individuen, Gemeinschaften und Nationen zu verändern. Indem wir in den kreativen Geist investieren, der in jedem und jeder von uns lebt, können wir den Prozess der Heilung und des Wiederaufbaus beginnen.
Sie nennen es den Urknall, aber ich glaube, dass die Welt in Stille und mit Liebe geschaffen wurde.
Maruee Pahuja
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Maruee Pahuja ist eine leidenschaftliche Prozessbegleiterin für Expressive Arts Therapy, bildende Künstlerin und Augenheilpraktikerin, die sich der Bereicherung des Lebens durch die Verbindung von Kunst und Wissenschaft verschrieben hat. Als Expressive Arts Consultant im Rahmen des Programms Begegnungen zu Kunst und Frieden der Stiftung Caux Initiativen der Veränderung bringt sie strategische Erkenntnisse ein, um mithilfe kunstbasierter Ansätze sinnvolle Dialoge in der Friedensförderung zu fördern.
Um gewaltsame Konflikte zu beenden, müssen Gesellschaften politische Vorstellungskraft beweisen. Die Künste sind oft in der einzigartigen Lage, neues Denken zu fördern, indem sie Menschen dazu befähigen, Dinge anders zu sehen. Anstelle der binären Spaltung von Konflikten können kunstbasierte Ansätze oft dazu genutzt werden, die Mehrdeutigkeiten und Möglichkeiten der ausgeschlossenen Mitte zu erforschen. Ihre Rolle bei der Friedenskonsolidierung ist jedoch noch wenig erforscht. Maruee erforscht und schafft derzeit Räume für diese Erkundung.
In ihrer Rolle als Mitglied des Kernteams von Kreative Leadership treibt sie die Erstellung von Inhalten und Strategien voran, wobei sie stets den Schwerpunkt auf transformative Wirkung durch kreative Prozesse legt. Derzeit entwirft sie mit der School of Conscious Politics ein Programm für Conscious Arts und erweitert in Zusammenarbeit mit dem stellvertretenden Dekan der European Graduate School ein Pilotprojekt für Arts-Based Coaching mit Step Ahead Berlin. Ihre Laufbahn ist geprägt von Pionierarbeit bei der Entwicklung therapeutischer kunstbasierter Interventionen und der Leitung von Workshops, die tiefgreifende Veränderungen anregen. Mit über 4.000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit nutzt sie die transformative Kraft der Künste, um zu heilen, zu vereinen und zu fördern, während sie gleichzeitig die Kluft zwischen Wissenschaft und Kunst überbrückt, um eine Welt zu schaffen, in der Gesundheit und Geisteswissenschaften Hand in Hand gehen.
Ihr Erfahrungsschatz erstreckt sich über Kontinente, Kulturen und Fachgebiete, in denen sie Initiativen geleitet hat, die die Bereiche Kunst, Friedensförderung, Führung, Planet-Demokratie, indigene Weisheit und Öko-Emotionen miteinander verbinden, um ganzheitliches Wohlbefinden zu fördern. Mit über 300 Workshops und Coaching-Sitzungen, die sie weltweit durchgeführt hat, hat sie mit mehr als zehn gemeinnützigen Organisationen zusammengearbeitet und sich für die Integration der Expressiven Künste in die Friedensförderung und Führung eingesetzt. Maruee schöpft neue Kraft und Inspiration in ihrer kreativen "Höhle", wo sie ihrer Fantasie durch verschiedene visuelle Kunstformen und -stile freien Lauf lässt. Ihre Reise ist weiterhin geprägt von Kreativität, Mitgefühl und dem tiefen Wunsch, Freude und die transformative Kraft der Künste zu teilen.
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