Genfer Friedenswoche 2019: Vertrauensbildung in Genf und in Europa
01/12/2019
Genf ist voll von Organisationen, die sich für Frieden, Menschenrechte und Wohlstand einsetzen, aber selten zusammenkommen. Jedes Jahr versucht die Genfer Friedenswoche, festgefahrene Muster zwischen diesen Akteurinnen und Akteuren aufzubrechen und betont, jeder einzelne Mensch, jede Akteurin, jeder Akteur und jede Institution spiele bei der Förderung von Frieden und der Lösung von Konflikten eine Rolle.
IofC organisierte im Rahmen der diesjährigen Friedenswoche (4. - 8 November 2019) drei Veranstaltungen. Zwei der Events konzentrierten sich auf Netzwerkaktivitäten und zielten darauf ab, die Zusammenarbeit zwischen humanitären, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen in Genf sowie Privatsektor, Regierung, Wissenschaft und Medien zu fördern.
Die dritte Veranstaltung war eine menschliche Bibliothek zum Thema "Vertrauensbildung in und um Europa".
Das erste Networking-Event widmete sich dem Thema "Erfolge und Mängel im Bereich 'Wahrheit und Vertrauen'?" und wurde von den Fragen der Teilnehmenden und den Themen, die ihnen am Herzen lagen, bestimmt.
Die zweite Veranstaltung zum Thema "Wer ist wer bei der Genfer Friedenswoche?" fand kurz vor der offiziellen Eröffnung am zweiten Tag der Woche statt. Die einstündige Veranstaltung war energiegeladen, denn rund 120 Menschen waren zu einem sinnvollen Austausch zusammengekommen. Neugebildete Gruppen verliessen das Event, um anschliessend an der Eröffnungsfeier teilzunehmen.
Wie in den Vorjahren organisierte IofC in Zusammenarbeit mit dem Centre for Humanitarian Dialogue, dem Hospice général of Geneva, der Kofi Annan Foundation, Lake Aid, dem Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik und der UN Library Geneva auch eine menschliche Bibliothek. Etwa 80 Personen nahmen daran teil und wählten aus fünf Themen zwei "menschliche Bücher" aus:
- Das Genfer Hospice général ist das wichtigste Sozialamt des Kantons. Generaldirektor Christoph Girod und Projektkoordinator Brice Ngarambe konzentrierten sich auf die Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbenden in der Schweiz. Brice erzählte seine eigene Geschichte als Asylbewerber, der inzwischen gut integriert ist und Neuankömmlingen hilft. Das Wichtigste sei es, keine Angst davor zu haben, auf andere zuzugehen und die Sprache zu lernen, sagte er. Er sprach von der Schwierigkeit, Vertrauen aufzubauen, wenn man sich nicht sicher sei, ob man bleiben könne. Das Studium, die Wohngemeinschaft mit anderen Studierenden und die Freiwilligenarbeit hätten ihm bei der Integration geholfen. Christoph Girod erwähnte Probleme durch die Tatsache, dass Entscheidungen weit weg in Bern getroffen würden. Er begrüsste ein neues Asylgesetz, das es den Aufnahmezentren für Flüchtlinge und Asylbewerbenden ermöglichen wird, vor Ort Entscheidungen zu treffen und damit das Antragsverfahren zu verkürzen.
- Jewhen Shybalov, der für das Centre for Humanitarian Dialogue in der Ukraine arbeitet, erzählte, wie der Krieg in seine Heimatregion Donbas kam. Die Hälfte aller Giftabfälle der Ukraine werde dort gelagert, was eine Bedrohung für alle Konfliktparteien darstelle. Er beschrieb, wie er dazu beigetragen hat, inoffizielle Gespräche zwischen Fachleuten auf beiden Seiten der Frontlinie zu erleichtern, in der Hoffnung, ökologische Fragen würden zu einem wesentlichen Bestandteil einer zukünftigen Lösung. "Gemeinsame Probleme verbinden die Menschen", sagte er.
- Muna Ismail, eine in Grossbritannien lebende Wissenschaftlerin und Umweltschützerin somalischer Herkunft, widmet sich leidenschaftlich der Landrückgewinnung in Post-Konflikt-Staaten. In den letzten vier Jahren hat sie das Trainingsprogramm Refugees als Rebuilders™ von IofC Grossbritannien für sesshafte Flüchtlinge aus der Horn von Afrika-Region und anderen konfliktbehafteten Regionen entwickelt. Sie leitet das Programmmodul "Nachhaltige Existenzsicherung" und entwickelt ausserdem ein Grossprojekt zur Wiedereinführung von Yeheb, einer dürreresistenten Pflanze, die in Somalia und Somaliland heimisch ist und sowohl Tiere als auch Menschen ernährt.
- Die unabhängige Filmemacherin Manuela Fresil präsentierte Ausschnitte aus ihrem Dokumentarfilm "The Good Wheat and the Tares", in dem Burim, ein 14-jähriger Asylsuchender aus Mazedonien, mitwirkt. Anschliessend befragte sie Burim, der mit vier Jahren nach Frankreich gekommen war, nach seiner persönlichen Erfahrung. Er sagte, der schwierigste Teil dieser 10 unbewissen Jahren seien die Nächte gewesen, die er auf dem Boden verbracht habe. Seine Familie habe die letzten zwei Jahre in einem "Notaufnahmezentrum" verbracht und sein grösster Traum sei jetzt, in einer Wohnung zu leben und wie die anderen Kinder in seiner Schule "normal" zu sein. Manuela sagte, sie habe den Dokumentarfilm gemacht, weil sie nicht mit dem Wissen leben konnte, dass Kinder in ihrem eigenen Land auf der Strasse lebten. Durch die Kombination aus Burims Schüchternheit und Manuelas Aktivismus wurde das Lesen dieses "Buches" zu einem sehr emotionsgeladenen Erlebnis.
- Das fünfte menschliche Buch war Hajer Sharief, Mitbegründerin der libyschen NGO "Together We Build It" und Mitglied der Initiative "Extremely Together" der Kofi Annan-Stiftung. Sie betonte, was ausserhalb Europas geschehe, habe Auswirkungen auf den Kontinent und umgekehrt. Ihre Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf den Aufbau von Kapazitäten in Libyen und die Sensibilisierung der internationalen Gemeinschaft. Sie ist der Ansicht, der gegenwärtige Friedensprozess werde wie ein Handelsabkommen behandelt und insbesondere Frauen und Kinder seien dabei nicht angemessen vertreten. Sie erklärte, wenn sich die Menschen nicht als Teil des Prozesses fühlten, gäbe es keinen nachhaltigen Frieden. Sie forderte ein Verbot von Waffenlieferung an bewaffnete Gruppen. In Libyen organisiert sie Workshops, in denen sie das formale Konzept von Frieden und Sicherheit aufschlüsselt, dieses den Menschen vor Ort näher bringt und aufzeigt, dass wir alle eine Rolle zu spielen haben.
Nachdem die Teilnehmenden zwei "Bücher" gehört hatten, kamen alle erneut zu einem Austausch im Hauptraum zusammen. Die "Bücher" wurden anschliessend gebeten, einige abschliessende Worte darüber zu äussern, wie Vertrauen in Europa aufgebaut werden könne.
Da der intergenerationelle Dialog in Europa ein Thema sei, schlug Manuela halb scherzhaft ein Sprachaustauschprogramm für Grosseltern vor. Sie war ausserdem der Meinung, die Wiedereinführung von Nachtzügen in ganz Europa fördere den interkulturellen Austausch. Burim sprach von seiner Hoffnung auf den Tag, an dem niemand mehr zehn Jahre lang warten müsse, um seine Papiere zu bekommen.
Brice und Christoph luden das Publikum ein, sich mit Freiwilligenarbeit zu befassen, um Flüchtlingen und Asylbewerbenden bei der Integration zu unterstützen und ihnen zu helfen, Vertrauen in sich selbst aufzubauen. Weitere Informationen zur freiwilligen Mitarbeit finden Sie in ihrem Ratgeber (in französischer Sprache).
Die Veranstaltung war Teil der Event-Serie Begegnungen, die bereichern von IofC Schweiz.