Frieden schaffen durch verbesserte Landbewirtschaftung in Westafrika
Genfer Friedenswoche 2021
08/12/2021
Im Rahmen ihrer Partnerschaft und der Genfer Friedenswoche 2021 organisierten Initiativen der Veränderung Schweiz (IofC) und die Abteilung Frieden und Menschenrechte des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am 4. November 2021 ein Webinar zum Thema Frieden schaffen durch bessere Landbewirtschaftung in Westafrika.
Es folgte auf frühere Webinare im Juli 2021, Juli 2020 und Dezember 2020 zum Thema Förderung politischer und gemeinschaftsbasierter Lösungen für die Landbewirtschaftung in West- und Zentralafrika (Kurzbericht, Video) und Bodenverwaltung in der Sahelzone (Kurzbericht, Video).
Ausgangspunkt war die Feststellung, dass Umweltzerstörung eine grosse Bedrohung für Frieden und Sicherheit in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara darstellt, wo über 80 Prozent der Bevölkerung von Regenfeldbau und Naturweidewirtschaft abhängen und die wirtschaftlichen Lebensgrundlagen seit langem untrennbar mit lokalen Riten und Kulturen verbunden sind. In einer Zeit, in der moderne und traditionelle Lebensweisen in ständigem Konflikt stehen, führen Klimawandel und Bodendegradation dazu, dass weniger fruchtbares Land, Wasser und Weideland zur Verfügung stehen. Landbesitz, eingeschränkter Zugang zu Schutzgebieten, Migration, bewaffnete Konflikte und gewalttätiger Extremismus beeinflussen einander, so dass es immer mehr Gebiete gibt, die nicht regierbar sind. Extremistische Gruppen nutzen diese Situation, um sich an vielen Orten zu etablieren.
Es ist entscheidend, ein besseres Verständnis davon zu gewinnen, wie diese Probleme zu Gewalt führen, und Initiativen, die zur Verhinderung von Gewalt beitragen, zu beobachten und zu unterstützen. Alle Konflikte, ob im Umweltbereich oder in anderen Bereichen, können Gegenstand eines Dialogs sein, da alle beteiligten Parteien letztlich ein friedliches natürliches, soziales und politisches Umfeld benötigen, um zu gedeihen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung auf allen Ebenen der lokalen Gemeinschaft sowie unter Regierungsbeamten und politischen Entscheidungsträgern Vertrauen und gemeinsame Ziele für die Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen aufzubauen.
Carol Mottet, Beraterin des EDA und Leiterin des Programms zur Prävention von gewalttätigem Extremismus, stellte einleitend fest, dass die für die Sicherheit zuständigen Behörden und diejenigen, die sich mit Landfragen befassen, allzu oft nicht die gleichen Anliegen haben. Sie plädierte dafür, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Akteure, die eine globale Vision der Gewaltproblematik haben und an konkreten Lösungen arbeiten, zu unterstützen. Sie schlug vor, den Schwerpunkt nicht mehr auf rein sicherheitsorientierte Ansätze zu legen, sondern auf die Notwendigkeit einer gemeinsamen Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, die nicht unendlich sind.
Die Podiumsdiskussion wurde von Olivia Lazard (Frankreich) moderiert, Gastwissenschaftlerin bei Carnegie Europe und Direktorin von Peace in Design Consulting Ltd. Sie unterstrich den Zusammenhang zwischen Umwelt und Sicherheit, zwischen Bodendegradation und Regierungsführung, zwischen der Dringlichkeit, in allen Bereichen präventiv zu arbeiten, und der Notwendigkeit, dem Klimawandel vorzugreifen. Sie erinnerte uns daran, dass es zu Konflikten führen kann, wenn man die Bevölkerung von Entscheidungen, die sie betreffen, ausschliesst, insbesondere bei der Wiederherstellung von Land, wo sich oft Frauen am stärksten einbringen. Sie sprach sich dafür aus, die lokalen Akteure zu stärken, neue Ökosystemanalysen zu berücksichtigen (z. B. die Verbindungen zwischen benachbarten Regionen, wie dem Kongobecken und der Sahelzone) und zu verstehen, wie eine integrative Regierungsführung für die Bodenregeneration organisiert werden kann.
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Drei Fragen an das Podium
- Vor welchen Herausforderungen stehen Sie in Ihrem Arbeitsbereich?
- Wie könnten positive Veränderungen effektiver werden – sowohl in Bezug auf die Wiederherstellung der Umwelt als auch auf Konfliktprävention?
- Wie reagieren Sie oder die Ihnen bekannten Personen auf diese Herausforderungen? Und auf welcher Ebene?
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Safouratou Moussa Kane (Niger) ist Sekretärin für die Förderung des nigrischen Zweigs des Netzwerks der Pastoralismus-Organisationen. Sie zeigte auf, wie wichtig es ist, das Gleichgewicht zwischen Viehzucht und Landwirtschaft auf gemeinsam genutztem Land zu wahren, das eine lebenswichtig Ressource für die gesamte Bevölkerung darstellt. Eine Verwaltung, die die gemeinsame Nutzung von Flächen und Ressourcen nicht berücksichtigt, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden, und fehlende Informationen über diese Gesetze führen zu Konflikten, die ausarten können, wie aktuell in vielen Gebieten der Sahelzone. Darüber hinaus könne die Regenerierung von Land eine Chance für die Zusammenarbeit von Landwirten und Viehzüchtern sein, sagte sie. Leider wird dies vom Staat nicht immer unterstützt, oft aus politischen Gründen. Daher sei es wichtig, die betroffenen Menschen, einschliesslich der Hofbesitzer, für die Bewältigung potenzieller Konflikte im Vorfeld zu mobilisieren. Sie nannte das Beispiel der Anpflanzung von senegalesischem Mahagoni als Mobilisierungsinstrument für die Zusammenarbeit. Ein weiteres dringendes Problem ist die Diskriminierung von Frauen beim Zugang zu Land und beim Erbe, obwohl sie die Hauptakteure bei der Wiederherstellung von Land sind. Es ist wichtig, die Frauen zu Wort kommen zu lassen und Wege zu finden, die Traditionen zu umgehen, die es ihnen nicht erlauben, vor Männern zu sprechen.
Professor Alexis Kabore, Dozent und Forscher am Fachbereich Soziologie der Joseph-Ki-Zerbo-Universität (Burkina Faso), zeigte auf, wie die Tausende von Quadratkilometern Waldfläche in der Subsahara-Region, die grösstenteils wegen ihrer Tierwelt geschützt sind, aufgrund der undurchsichtigen Verwaltung eine Dynamik der Gewalt erzeugen. Sie sind oft dem Staat vorbehalten und für die indigene Bevölkerung nicht zugänglich, die so nicht von den wirtschaftlichen, politischen, sozialen und spirituellen Vorteilen profitieren kann. Diese Gebiete werden von gewalttätigen Extremisten genutzt. Prof. Kaboré hofft, dass die Fragen im Zusammenhang mit Schutzgebieten im Lichte der Umwelt-, Klima- und Sicherheitsproblematik neu überdacht werden und dass die ursprüngliche Bevölkerung wieder in den Mittelpunkt der Entscheidungsprozesse und des Landes gestellt wird, zu dem sie wieder Zugang erhalten muss.
Der letzte Diskussionsteilnehmer war Ibrahim Yahaya Ibrahim (Niger), leitender Berater und Analyst für die Sahelzone bei der International Crisis Group (ICG), Dakar, und Mitbegründer der Sahel Research Group. Er zeigte auf, dass jeder Konflikt zwar seine eigene Dynamik hat, aber bestimmte Konstanten in der Sahelzone zu finden sind: Hirtenkrisen, Dürren, Wettbewerb um natürliche Ressourcen (die von den Staaten schlecht verwaltet werden) und vor allem die Unfähigkeit der Behörden, wirksam auf Krisen zu reagieren und lokalen Akteuren, einschliesslich Frauen, die Möglichkeit zum Eingreifen zu geben. Darüber hinaus entsprechen die allgemein angewandten Konfliktlösungsmethoden nicht mehr den Bedürfnissen der betroffenen Menschen, insbesondere der Frauen, Jugendlichen und Migranten. Darüber hinaus entziehen sich die verschiedenen Landbesitzsysteme, die zunehmend miteinander in Konflikt geraten, einer wirksamen staatlichen Regulierung: Positives Recht und Gewohnheitsrecht kollidieren in einem Ausmass, das eine dringende Überarbeitung der Verwaltung der Landbesitzverhältnisse erforderlich macht. Die unmittelbar betroffenen Gemeinschaften müssen aktiv in diesen Prozess einbezogen werden.
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Gruppenarbeit unter Anleitung von vier jungen Faciliatoren
- Désiré TUYISHEMEZE, Psychologin und Mitglied von Friedensstifterinnen Burundi, Burundi
- Marienne MAKOUDEM TENE, Kamerun, Nationale Koordinatorin und Mitglied des Internationalen Komitees der Friedensstifterinnen
- Saidou KABRE, Burkina Faso
- Stephane Junior DEWANG DIYO, Kamerun
Die Veranstaltung wurde in Form einer Gruppenarbeit zu vier Fragen fortgesetzt. Diese gaben Anlass zu lebhaften Diskussionen, da die etwa 50 Personen aus allen Teilen der Welt die Gelegenheit nutzten, um über Prioritäten und ihren eigenen Beitrag nachzudenken:
- Wie kann die Rolle der Frauen im Prozess der Landwiederherstellung und ‑verwaltung verbessert werden?
- Wie kann die Landwiederherstellung mit Schwerpunkt auf ariden und semiariden Gebieten optimiert werden?
- Wie können lokale Akteure in der Landbewirtschaftung gestärkt werden?
- Wie lassen sich Schutzgebiete zum Nutzen der Gemeinschaften und friedlich verwalten?
Gefordert wurde die kollektive Einbindung von Gemeindevorstehenden, der Zivilgesellschaft, bestehender und neuer Verwaltungsausschüsse, Frauen und Jugendlichen, „Aussenstehenden“, Personen, die Landrecht durchsetzen, und dem Zentralstaat.
Es herrschte Einigkeit darüber, dass mangelndes Engagement aller Beteiligten, wo auch immer sie sich befinden, die Hauptursache für das durch die Bevölkerung der Sahelzone erfahrene Chaos ist.
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„Jeder für sich“ funktioniert nicht mehr.
Die Verwaltung von Land ist fair und inklusiv und führt nicht zu Gewalt:
- wenn lokale Gemeinschaften, Landverwaltungsausschüsse, regionale und nationale Strukturen sowie private und öffentliche Geber eine gemeinsame Vision haben,
- wenn Entscheidungen und Zuständigkeiten auf geeigneter Ebene und unter Einbeziehung aller getroffen werden,
- wenn der Informationsaustausch gut funktioniert (Aufruf zu weiteren Foren, Treffen zum Erfahrungsaustausch, Webinare),
- wenn die unmittelbar betroffenen Gemeinschaften die Hauptnutzniesser ihres Landes sind und
- wenn Frauen und Jugendliche vollständig in diese Entscheidungen einbezogen werden und die Möglichkeit haben, Verantwortung zu übernehmen.
Darüber hinaus wurde deutlich, dass Frieden und Gewaltprävention ohne Berücksichtigung von Umweltfragen oder des lokalen Fachwissens, über das die Bevölkerung verfügt, nicht mehr denkbar sind.De plus, il fut clairement affirmé qu’aucune paix ni prévention de la violence n’était dorénavant envisageable sans l’intégration des enjeux environnementaux et sans l’écoute des expertises locales dont les populations sont les meilleures dépositaires.
Daraus entstand der Wunsch nach Integration und Teilhabe auf zwei Ebenen:
- Alle von einem Konflikt Betroffenen, Jugendliche, Frauen, Gemeindevorstehende und andere Führungspersönlichkeiten sowie die öffentlichen, lokalen oder nationalen Beamten müssen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Dies ist die einzige Chance auf Erfolg.
- Und auch Aussenstehende müssen bei der Konfliktprävention und –bewältigung eine Rolle spielen, auch bei lokalen Konflikten um Land, denn „der Prophet gilt nichts im eigenen Land“. Es besteht ein dringender Bedarf an Mediation und der Methodik der Mediation, sei es von innerhalb oder ausserhalb des Landes.
Abschliessend betonte Alan Channer (UK) von Initiativen der Veränderung Schweiz, der seit 10 Jahren den Caux-Dialog über Umwelt und Sicherheit moderiert, dass dieses Webinar ein Schritt in einem gemeinsamen Prozess sei, dem sich die Menschen im Laufe der Jahre nach und nach angeschlossen haben – und weiterhin anschliessen werden. „Es liegt an uns, zu handeln. Lassen Sie uns diese digitale Technologie nutzen, um unsere Verbindungen zu stärken und den Dialog fortzusetzen.
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Das Ganze in die richtige Perspektive rücken
Das Organisationsteam des Webinars wies auch auf die Rolle des Internationalen Genf als Entscheidungszentrum und Gemeinschaft von Praktikerinnen und Praktikern hin, die sich seit vielen Jahren mit den Themen Umwelt, Klima, Konflikt und Frieden befasst (ECCP - Geneva Dialogue on Environment, Climate, Conflict, and Peace). Die Aufnahme dieses Webinars in das Programm der Genfer Friedenswoche 2021 war Teil dieser Bemühungen. Das ECCP erarbeitet zudem ein Weissbuch zur ökologischen Friedensförderung und im Februar 2022 wird in Genf die zweite internationale Konferenz zur ökologischen Friedensförderung stattfinden.
All diese Arbeiten, einschliesslich der Ergebnisse dieses Webinars, werden dazu beitragen, dem Stockholm+50-Forum im Juni 2022 eine starke und überzeugende Botschaft zu übermitteln.
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Einige wichtige Empfehlungen
* Beziehen Sie die Umwelt immer in die Friedensförderung ein.
* Es ist Zeit, die untergeordnete Rolle der Gemeinschaften bei der „Landverwaltung“ zu beenden und ihnen umfangreiche Rechte einzuräumen, sich an der „gemeinsamen Verwaltung“ ihres Landes und den damit verbundenen Konfliktfragen zu beteiligen.
* Es besteht ein grosser Bedarf an Dialog und Moderation, um die scheinbar ausweglosen Situationen und die Gewalt zu überwinden, die manchmal in ganzen Regionen oder Gemeinschaften herrschen aufgrund von Fehlern bei der Landverwaltung.
* Es ist notwendig, partizipatorische Verwaltungsausschüsse für Wälder und Schutzgebiete einzurichten und den Zugang der ursprünglichen Bevölkerung wiederherzustellen, um Frustration, die zu Gewaltexzessen führen kann, nicht zu schüren.
* Alle Akteure, ob auf lokaler oder nationaler Ebene, müssen sich über die anderen Beteiligten im Klaren sein. Jeder muss sich der Bedürfnisse und Interessen des anderen bewusst sein. Die grundlegendeFrage, die wir beantworten müssen, lautet: „Wie können wir den Respekt voreinander wiederherstellen, um auf die Stimmen der anderen zu reagieren?“ – dabei geht es oft nicht nur um die Wiederherstellung von Land, sondern auch von menschlichen Beziehungen und öffentlicher Verwaltung!
* Mediation (aktives Zuhören und Dialog) kann eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung für die Interessen und Bedürfnisse anderer spielen.
* Die Förderung des Dialogs zwischen den Gemeinschaften und des Wissensaustauschs über Landbesitz und Hirtensysteme muss verstärkt werden. Der Wissensaustausch ist überaus wichtig, da ein Grossteil dieses Wissens nicht schriftlich fixiert ist.
* Die Erfahrungen von Frauen bei der Landwiederherstellung müssen gewürdigt werden. Durch sie fördert man den Dialog innerhalb der Gemeinschaft und den Dialog mit jungen Menschen, denen es an Perspektiven fehlt, und verbindet so effektiv die Themen Land und Frieden.
* Räume für den Austausch wie dieses Webinar müssen gestärkt werden. Sie bringen Akteure vor Ort, Forschende und politische Entscheidungsträger zusammen, um sich regelmässig über Ergebnisse und Herausforderungen auszutauschen und die Steuerung und Umsetzung der vorgeschlagenen Massnahmen zu optimieren.
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