Wie Gesellschaften entstehen

Menschliche Bibliothek in Genf

26/04/2019

Ein fast in Vergessenheit geratenes Sprichwort besagt, dass Mobilität jede menschliche Gesellschaft geprägt hat. Und genau das wurde beim Treffen vom Maison Internationale des Associations in Genf thematisiert. Am 7. April kamen Menschen in all ihrer Vielfalt für einen Tag voller lebhafter Diskussionen und dem Austausch über menschliche Mobilität zusammen, um sich mit diesem Phänomen unter dem Titel „Tout d’ailleurs, tous d’ici“ (Alle von woanders, alle von hier) auseinanderzusetzen.

Zu den Höhepunkten zählten ein runder Tisch mit Berichten von Migranten, ein interkultureller Aperitif, ein Musikfestival und eine Debatte über einige der mit Migration verbundenen Herausforderungen.

An Anfang des Tages stand ein runder Tisch über Migrationsrouten, die Probleme und Aussichten.

Vertreter von der Internationalen Organisation für Migration, der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, die Internationale Katholische Migrationskommission, das General Hospice in Genf und das Bureau d’Intégration des Etrangers (Amt für die Integration von Ausländern) sprachen über ihre Ansichten zum Thema Migration.

Maurizio Busatti, Vorsitzender der Multilateral Processes Division bei der Internationalen Organisation für Migration, erklärte: „Menschliche Gesellschaften wurden durch Mobilität geformt. Es ist ein ganz natürliches Phänomen“, ergänzte er. „Wovor haben wir also Angst?“

 

‚Die Politik schürt Ängste‘

Nagette Belgacem, Senior Legal Advisor beim UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge, erläuterte die Aussage „Politik schürt Ängste“: „Wenn wir die Zahl der Flüchtlinge in der Europäischen Union mit den Flüchtlingszahlen in den Nachbarländern vergleichen, erkennen wir, wie wichtig es ist, die Migrationsfrage zu entpolitisieren.“

Stéphane Jaquement, Direktor für Politik bei der Internationalen Katholischen Migrationskommission, erklärte, dass der UN-Migrationspakt aus dem Interesse heraus entstanden ist, alle Länder in die Debatte über Migration einzubeziehen.

„Ziel des Pakts war es, Kooperation zu fördern und nicht, Nationen eine Agenda aufzuzwingen. In einer politisch angespannten Situation war es schwierig, positiv über Migranten zu sprechen. Der grosse Fehler bestand darin, dass die Länder verhandelt, ihre Bevölkerung aber nicht über diese internationalen Diskussionen informiert haben“, sagt Jaquement.

Ariane Daniel Merkelbach, Direktorin für die Unterstützung von Migranten beim General Hospice in Genf, arbeitet auf lokaler Ebene und erläutert: „Bei General Hospice geben wir den Migranten erst etwas Freiraum, damit sie ankommen können. ‚Poser ses valises‘ bedeutet eine Unterkunft und etwas zu Essen zu haben, sich sicher und willkommen zu fühlen und in der Lage zu sein, über etwas anderes nachzudenken, als die Flucht aus dem Heimatland. Es ist ein schwieriger Prozess, auch deshalb arbeiten wir mit vielen Partnern zusammen“, sagt sie.

Um Migranten bei diesem Prozess zu unterstützen, gibt es unterschiedliche Hilfsangebote verschiedener Organisationen.

 

Papyrus-Projekt

Nicolas Roguet, der für die Integration im Kanton Genf zuständig ist, erzählt vom Papyrus-Projekt. Er sagte, dass es in Genf eine Gruppe „ohne Rechtsstatus“ gibt.

„Wir brauchen einen echten politischen Willen, um eine Lösung für diese Leute zu finden. Wir leben in einer Zeit der extremen Scheinheiligkeit. Wenn wir Leute anwerben, haben wir Rechte, aber auch Pflichten. Bisher haben 1.500 Perseonen dank des Papyrus-Projekts einen [Schweizer] B-Titel erhalten. Wir rechnen damit, dass insgesamt 3.000 Personen ihren Rechtsstatus klären können“, sagt er, als er das Schweizer System für den Erhalt einer Aufenthaltsgenehmigung erklärt.

Am Nachmittag kamen durch eine „Menschliche Bücherei“ Migranten zu Wort, die über Ihre Integration im Kanton Genf berichteten. Unter ihnen war auch ein Paar aus Chile.

Zwei Frauen von der „Associations des Femmes au service d’autres femmes“ (Verband der Frauen für Frauen) und ein Syrer, der aus seinem Land geflohen ist, nahmen ebenfalls daran teil.

Er erzählte: „Wir sind an der Grenze auf den IS gestossen und waren vier Tage in Gefangenschaft, bevor man uns freiliess. Als wir in der Schweiz ankamen, unterstützte uns der Teil unserer Familie, der bereits hier war. Jetzt sind wir gut integriert. Die lokale Zivilgesellschaft hat uns unterstützt und durch die Musik kam ich mit anderen Musikern in Kontakt.“

In der Halle gab es eine Fotoausstellung über eine senegalesische Familie, die in Griechenland lebt sowie weitere Kunstwerke über die Erfahrungen von Immigranten. Gerichte aus aller Welt verliehen der Veranstaltung Farbe und Würze.

Der Abend endete mit einem Musikfestival. Zwischen dem traditionellen Klang eines Schweizer Alphorns und albanischen Tänzen entführte Keren Esther die Teilnehmenden in die jüdisch-spanische Welt.

Die Veranstaltung wurde von verschiedenen Institutionen, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen aus Genf organisiert, darunter der Weltkirchenrat, die Inter-Religious Platform Genf, die Albanian People’s University, Initiativen der Veränderung, die Internationale Katholische Migrationskommission, Inter-Knowing Foundation, die Fondation Islamique et Culturelle d’Ahl-El-Beit(S) und dem Focolare Movement.

Weitere Fotots finden Sie hier.

 

  • Bericht: Camille Vianin, Kommunikationsprojektassistentin beim Weltkirchenrat
  • Foto: Camille Vianin
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