‘Wo Trauer beginnt – Brücken schlagen nach der Bombe von Brighton’: Ein Live-Interview mit Patrick Magee
Ein Tools for Changemakers-Event
29/09/2021Von Hajar Bichri
Am 25. August 2021 fand im Rahmen der zweiten Veranstaltung der Tools for Changemakers-Reihe „Stories for Changemakers“ ein Interview mit Patrick Magee statt, der 1984 eine Bombe im Grand Hotel in Brighton platzierte, die fünf Menschen tötete. Ziel der Reihe ist es, schwierige Gespräche zu fördern, indem weniger bekannte Geschichten erzählt werden, die beide Seiten eines Konflikts beleuchten.
Fünfundsechzig Menschen aus Afrika, Asien, Europa und Amerika hörten zu, als Patrick Magee mit Neil Oliver über seine Memoiren „Where Grieving Begins: Building Bridges after the Brighton Bomb“ sprach. Im Anschluss an das Interview gab es in kleinen Gesprächsgruppen Gelegenheit zur Diskussion und eine Fragerunde mit dem Referenten.
Patrick schloss sich im Alter von 19 Jahren der Provisional Irish Republican Army (IRA) an. 14 Jahre lang sass er wegen seiner Rolle beim Bombenanschlag in Brighton im Gefängnis und wurde 1999 im Rahmen des Karfreitagsabkommens entlassen.
In seinem Buch beschreibt Patrick das Etikett des „Brighton-Bombers“ als „ein Klischee, das jegliches Denken begrenzt“. Weil er in den Mittepunkt gerückt werde, werde den Menschen die Möglichkeit genommen, den Kontext des Bombenanschlags zu verstehen.
Der Titel seines Buches, erklärte Patrick, stamme aus einem Gedicht des chilenischen Schriftstellers und Politikers Pablo Neruda:
Der Reisende fragt sich: Wenn er eine Ewigkeit
In der Ferne, diese verdrängend, lebte und
an den Ort zurückkehrt, an dem seine Trauer begann:
Vergeudet er seine Identität erneut,
Verabschiedet sich wieder und geht?
Mir war nicht bewusst, dass Jo ein ähnliches Bedürfnis hatte, das Gespräch weiterzuführen.
Für Patrick war das Legen der Bombe eine „politische Verpflichtung“. Siebzehn Monate nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis traf er Jo Berry, die Tochter eines der Opfer, und war überwältigt von der Tragweite der Situation. „Du bist kurz davor, den Raum zu betreten und diese Person zu treffen, deren Vater du getötet hast“. Die Erfahrung, jemanden zu treffen, den er verletzt hatte, von dem er aber keine Feindseligkeit verspürte, war ein Wendepunkt. Zwei Wochen später meldete sich Jo erneut bei ihm. „Mir war nicht bewusst, dass Jo ein ähnliches Bedürfnis hatte, das Gespräch weiterzuführen“, sagte Patrick.
Auf die Frage, was er von Jo gelernt habe, antwortete Patrick, dass es notwendig sei, die Vergangenheit aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, und dass er erkannt habe, dass auch seine Seite diejenigen dämonisiert habe, die sie als Feinde ansahen. Er erinnerte sich daran, was er dachte, als Jo über ihren Vater sprach: „Das Gute und die Werte, die ich bei dieser Frau wahrnehme, gehen bis zu einem gewissen Grad auf den Man zurück, den ich getötet habe. Wenn man das weiterdenkt, dann habe ich einen guten Menschen umgebracht.“
Bei der Beantwortung von Fragen aus dem Publikum beklagte er die Unzulänglichkeit des Geschichtsunterrichts an britischen Schulen und das mangelnde Verständnis für die persönlichen Auswirkungen der Teilung Irlands im Jahr 1921.
Er wurde gefragt, ob er, als er die Bombe legte, an die unschuldigen Opfer gedacht habe. „Es wurde an die möglichen Folgen der Bombe gedacht“, antwortete er. „So wurde die Bombe zu einem Zeitpunkt gelegt, zu dem unserer Meinung nach am wenigsten Zivilisten davon betroffen sein würden... Wir hatten es auf diejenigen abgesehen, die unserer Meinung nach am meisten Schuld an dem Konflikt trugen, auf diejenigen, die die Befehle gaben, die den Terrorismus auf unseren Strassen nährten.“
Wäre er bereit, für die Wiedervereinigung Irlands erneut Gewalt anzuwenden? „Nein, abgesehen von der Tatsache, dass ich 70 und vielleicht nicht mehr in der Lage wäre, einen solchen Beitrag zu leisten, glaube ich nicht, dass Gewalt für das Erreichen unseres Ziels nötig ist... Ich unterstütze den Friedensprozess und seine Fortsetzung voll und ganz und ich glaube, dass er sich am Ende durchsetzen wird.“
Jo Berry, die bei einer ähnlichen Veranstaltung von Tools for Changemakers gesprochen hatte, sass bei dieser Veranstaltung im Publikum. Am Ende waren Patrick und sie sich einig, dass Empathie in ihrem Dialog- und Vergebungsprozess eine entscheidende Rolle gespielt habe. „Um Fortschritte zu machen, muss man Empathie schaffen und zumindest versuchen, zu verstehen und zu erklären", sagte Patrick. Jo fügte hinzu: „Für mich ist Einfühlungsvermögen wichtiger als Vergebung.“
Einfühlungsvermögen ist wichtiger als Vergebung.
______________________________________________________________________________________________________
Was die Teilnehmenden sagten
Ich stamme aus Cork und habe die meiste Zeit meines Lebens in Irland gelebt. Was Sie zu sagen haben, ist auch für die Republik Irland von grosser Bedeutung. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch erleben würde, dass jemand wie Sie einen Vortrag hält. Vielen Dank.
Elaine Gordon
Ihre Reise und ihr Mut, diese Reise fortzusetzen, haben mich sehr bewegt. Ich habe so viel gelernt und es inspiriert mich, dass Sie die Welt daran haben teilhaben lassen.
Barbara
Ich habe das Gefühl, dass es einen Bedarf an tiefergehenden Diskussionen zu diesem Thema gibt. Es war für meinen Bereich, in dem ich Schwierigkeiten und Unsicherheiten zu bewältigen habe, eine echte Hilfe.
Olga
______________________________________________________________________________________________________
Sie können das Event hier im Replay einsehen.
______________________________________________________________________________________________________
Partnerorganisationen
Dieses Event wurde im Rahmen des Young Ambassadors Programme als Teil des Caux Forum Online 2021 in Zusammenarbeit mit Movetia, Edventure: Frome und Beyond Boundaries organisiert.
Tools for Changemakers entwickelt die Reihe "Stories for Changemakers" weiter, die sich mit verschiedenen Aspekten von Konflikten befasst. Erfahren Sie mehr über die nächsten Events hier.