Caux 1995: Marta Dąbrowska - “Mit dem Sommer kommt auch Caux”
Von Mary Lean
06/10/2021
In den frühen 1990er Jahren kam nach dem Fall der Berliner Mauer eine grosse Zahl von Menschen aus Ost- und Mitteleuropa zu den Konferenzen von Initiativen der Veränderung (IofC) nach Caux. Viele, wie auch Marta Dąbrowska aus Polen, waren junge Leute, die hinter dem Eisernen Vorhang aufgewachsen waren und die Welt entdecken wollten.
Marta Dąbrowska, heute Professorin am Institut für Anglistik der Jagiellonen-Universität in Krakau, besuchte Caux 1992 zum ersten Mal als Dolmetscherin.
“Ich wusste nichts über das Dolmetschen,” sagt sie. “Aber ich wusste, dass es in Caux viele Polinnen und Polen gab und dass ihr Englisch wahrscheinlich schlechter war als das meinige. Ich habe viele Fehler gemacht, aber es war ein gutes Umfeld, um diese Fähigkeit zu erlernen. Aber in der Übersetzungskabine zu sitzen oder bei den Mahlzeiten zu dolmetschen, ermöglichte mir nicht, das Wesen von Caux vollständig zu erfassen. Ich wollte mehr darüber wissen.”
Es fällt ihr schwer zu sagen, was sie immer wieder zurückbrachte, nachdem das Dolmetschen nicht mehr nötig war. Die schöne Landschaft? Die Resonanz auf ihren christlichen Glauben und den Geist des Dienens, der ihr von ihren Jahren mit der Pfadfinderbewegung bekannt war? Die Freundschaften, die sie geschlossen hat? Das Gefühl, ein Teil von etwas Grösserem zu sein?
Was auch immer der Grund war, Marta ist seither jeden Sommer nach Caux zurückgekehrt - mit Ausnahme der Jahre 2003, 2007 und der Pandemiezeit. “Für mich sind der Sommer und Caux untrennbar miteinander verbunden”, sagt sie.
Caux war immer ein Ort, an dem ich atmen konnte, wo ich ich selbst sein konnte.
Im Laufe der Jahre hat sie nicht nur als Dolmetscherin gearbeitet, sondern auch als Büroassistentin und Managerin und wirkte in dem Team mit, das die Zimmer an ankommende Gäste verteilt. Sie hat bei der Planung von Konferenzen mitgeholfen - vor allem bei solchen, die sich mit den kreativen Künsten befassen - und war drei Jahre lang Teil der Caux-Vorbereitungsgruppe, die das Sommerprogramm von Caux koordinierte. Im Jahr 2020 wurde sie in den Internationalen Rat von IofC gewählt.
“Caux wurde meine zweite Heimat und Familie, ein Ort, für den ich mich verantwortlich fühlte,” sagt sie. “Es war immer ein Ort, an dem ich atmen konnte, wo ich ich selbst sein konnte und mich nicht unter Druck gesetzt fühlte, meiner Rolle als Professorin gerecht zu werden. Die Schönheit des Ortes, seine Gelassenheit, spüre ich ungemein.”
1995 wurde den Konferenzteilnehmenden ein freier Tag zum Wandern in den Bergen angeboten. Marta war die einzige Frau in einer Gruppe, zu der auch einige russische Journalisten gehörten. “Da ich im Kommunismus aufgewachsen bin, hatte ich eine Art unterbewussten Hass auf die Russen, ein ungutes Gefühl ihnen gegenüber. Ich kannte die russische Sprache aus der Schule, aber ich wollte sie nicht gerne benutzen, also sprachen wir kaum miteinander.”
Mir wurde klar, dass sie Menschen sind, wie wir alle.
Als der Ausflug immer weiter den Berg hinauf führte, stellte Marta zu ihrem Entsetzen fest, dass sie den Dent de Jaman, einen steilen, zahnförmigen Berg, besteigen würden. Er war so steil, dass sie auf allen Vieren klettern musste. “Ich hatte wirklich Angst. Diese jungen Russen haben mir geholfen, den Gipfel zu erreichen. Mir wurde klar, dass sie Menschen sind, wie wir alle.”
Eine weitere wichtige Begegnung war das Treffen mit Heinz und Gisela Krieg aus Deutschland. „Für mich als Polin war es eine wichtige Erfahrung, einen Deutschen zu treffen, der am Krieg beteiligt war. Er unternahm alles, was er konnte, um eine Versöhnung zwischen unseren Ländern herbeizuführen. Wir besuchten uns gegenseitig, und viele Jahre lang riefen sie mich am 1. September, dem Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen im Jahr 1939, an, um mir zu sagen, dass sie sich erinnern. Im Jahr 1998 brachten sie - zusammen mit anderen - Menschen aus Polen und Deutschland zu einer Konferenz anch Krzyżowa.
Nach der Gründung von Foundations for Freedom (Grundlagen für den Frieden) im Jahr 1993 engagierte sich Marta bei diesen Kursen für junge Ost- und Mitteleuropäerinnen und -europäern über die persönlichen Werte, die die Grundlage der Demokratie bilden. Sie beteiligte sich 1995 an der Organisation des ersten regionalen Treffens in Krakau.
“Damals waren viele junge Osteuropäerinnen und -europäer mit uns aktiv,” sagt sie. Einige setzten ihr Engagement bei IofC fort, andere jedoch nicht. Sie fragt sich, warum.
„Sie waren jung, sie hatten Energie, sie studierten oder hatten gerade ihre Ausbildung abgeschlossen und waren neugierig, die Welt kennenzulernen. Das Neue in Caux zog sie an und war spannend. Aber dann übernahm das Leben die Oberhand – sie fanden Arbeit im Beruf und gründeten Familien.“ Geld war auch ein Hindernis, als Caux begann, Gebühren für die Teilnahme zu erheben, anstatt einfach zu Spenden aufzurufen. “Diejenigen, die immer noch kommen, arbeiten hinter den Kulissen und ermöglichen mit ihren Dienstleistungen den Aufenthalt in Caux.“
Warum ist sie also immer wieder gekommen? Sie spricht von der Fürsorge, die sie von Menschen aus der ganzen Welt erhielt. “Sie haben nicht nur über Liebe und Selbstlosigkeit geredet, sie haben sie gelebt. Wenn du Menschen als Engel erlebst, spürst du, dass es etwas Gutes in der Welt gibt, und du willst es weitergeben.”
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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Einzelpersonen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie eine Geschichte kennen, die sich für diese Serie eignet, leiten Sie Ihre Ideen bitte per E-Mail an John Bond oder Yara Zhgeib. weiter. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.
- Foto oben, Heinz und Gisela Krieg: Initiativen der Veränderung
- Fotoporträt und 1995: Marta Dabrowska
- Foto Marta in Caux 2017: Ismar Villavicencio
- Korrekturlesung: Maya Fiaux