1969: Çigdem Bilginer – "Ich war nicht mehr das Zentrum des Universums“
Von Eliane Stallybrass
21/06/2021
Die militante türkische Studentin Çigdem Bilginer kam 1969 unzufrieden in Caux an, nachdem sie an Studentenunruhen gegen das Establishment und die Amerikaner teilgenommen hatte. 'Das Auto des amerikanischen Botschafters wurde auf unserem Campus angezündet', schrieb sie später. 'Aber ich war enttäuscht, weil die Leute, die darauf aus waren, das Bestehende niederzureissen, nicht die Antwort auf Korruption und Unreinheit hatten, nach der ich suchte. Ich war bereit, alles auszuprobieren, um etwas zu finden, das mich wirklich zufrieden stellen würde.'
Sie liebte es, sich zu streiten, sehr zum Leidwesen ihrer Eltern. Eine alte türkische Dame und Freundin der Familie, die Caux kannte, schlug vor, sie solle dort hingehen. Marcel und Theri Grandy, ein Schweizer Ehepaar, das sich für die Versöhnung in Zypern einsetzte, unterstützten die Idee, da sie der Meinung waren, es würde Çigdem gut tun, Menschen aus der ganzen Welt und verschiedener Herkunft zu treffen.
In Caux angekommen, stritt sie sich mit allen hochrangigen Leuten, die sie auf der Konferenz finden konnte. Sie verursachte eine Menge Aufregung!
An ihrem zehnten Tag in Caux, völlig erschöpft und leergeredet, schlich sie sich in den hinteren Teil des Kinos, wo der Film Men of Brazil in französischer Sprache mit deutschen Untertiteln gezeigt wurde. Sie sprach weder Französisch noch verstand sie Deutsch.
Der Spielfilm erzählt die wahre Geschichte der Versöhnung im Hafen von Rio de Janeiro, wobei die Beteiligten ihre eigenen Rollen spielen. An Ende gibt es eine rührende Szene, als die kleine Tochter eines der Hafenarbeiter plötzlich laufen kann, obwohl sie von Geburt an gelähmt war. Es war ein Wunder. Die Szene zeigt, wie sie mit ihren Eltern in die Kirche geht und eine grosse Kerze trägt.
Menschen mögen mir nicht verzeihen, aber mein Schöpfer hatte es getan. Ich fühlte mich verändert. Ich war nicht mehr das Zentrum des Universums.
Çigdem sah dies und begann zu weinen. Es war der emotionaler Höhepunkt nach all ihren Diskussionen und Auseinandersetzungen. Sie rannte in ihr Schlafzimmer und warf sich auf ihr Bett. Später sagte sie: "Ich wusste, dass es Allah gibt. Dass Allah grosszügig, liebevoll und vergebend ist. Während ich weinte und weinte, fühlte ich mich gereinigt. Menschen mögen mir nicht verzeihen, aber mein Schöpfer hatte es getan. Ich fühlte mich verändert. Ich war nicht mehr das Zentrum des Universums.'
Ein paar Jahre später gründete sie zusammen mit jungen Menschen aus Asien Song of Asia, eine musikalische Revue, die Geschichten von Versöhnung und Veränderung erzählt. Die Show tourte zwischen 1974 und 1976 durch Asien, Europa und Kanada.
Im Programm von Song of Asia schrieb Çigdem: “Die Vision Frank Buchmans, dem Initiator der Moralischen Aufrüstung, für die islamischen Länder war, diese könnten ein Beispiel für Einheit in der Welt sein Jeder weiss um das Leid und die Ungerechtigkeit im Nahen Osten, die zu so viel Bitterkeit und Gewalttaten geführt haben. Können diejenigen, die gelitten haben, verzeihen und die Hassenden frei werden, um für eine hassfreie Welt zu kämpfen? Wir brauchen Männer und Frauen aus diesen Nationen, die zeigen, dass dies möglich ist.“
Es veränderte mein ganzes Denken und befreite mich von den Fehlern der Vergangenheit. (...) Daraufhin konnten wir einander vertrauen.
Sie beschrieb, wie die Begegnung mit der Idee von absoluten Massstäben und des Hörens auf die innere Stimme ihr Leben veränderte. „Es veränderte mein ganzes Denken und befreite mich von den Fehlern der Vergangenheit, und ich gestand, Prüfungsfragen gestohlen zu haben und gab Bücher zurück, die ich aus der Bibliothek gestohlen hatte, und stellte viele Dinge richtig, die ich in meinem eigenen Leben vor meinen Eltern versteckt hatte. Daraufhin konnten wir einander vertrauen.“
Çigdem lehrte später Psychologie an der Universität in Izmir. Bei einem ihrer späteren Besuche in Caux erzählte ihr eine Schweizer Freundin von, Ioanna, die an der Universität Genf Psychologie lehrte. Sie hatte Jean Piaget bei seinen bahnbrechenden Arbeiten zur kindlichen Entwicklung assistiert und nach seinem Tod seine Stelle übernommen.
Çigdem lud Ioanna ein, einen Vortrag in Izmir zu halten. Ioanna ist Griechin, und Izmir hatte jahrhundertelang eine grosse griechische Gemeinde, bevor diese von den Türken vertrieben wurden. Der Besuch bedeutete also viel mehr als nur Psychologieunterricht. Çigdem und Ioanna wurden gute Freundinnen und tanzten unter anderem gerne zu türkischer Musik, jede in ihrer Tradition.
Traurigerweise starb Çigdem 2012 an Krebs.
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Sehen Sie den Film Men of Brazil, der Çigdems Leben während ihres Aufenthalts in Caux beeinflusst hat.
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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Menschen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie eine Geschichte kennen, die sich für diese Serie eignet, leiten Sie Ihre Ideen bitte per E-Mail an John Bond oder Yara Zhgeib. weiter. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.
- Hope never dies: the Grandy story, Virginia Wigan, Caux Books, 2005
- Foto Caux 1972: Jan Franzon
- Fotos Song of Asia: Initiativen der Veränderung
- Foto mit Ginny Wigan: Ginny Wigan
- Foto Çigdem und Ioanna: Eliane Stallybrass
- Men of Brazil: Initiativen der Veränderung auf For A New World