1957 - Jessie Bond: "Ich sah seine Grösse"
Von John Bond
18/04/2021
Während des Zweiten Weltkriegs diente mein Vater an sehr rauen Orten - hinter den feindlichen Linien in Burma, dann inmitten der brutalen Konflikte in Waziristan an der damaligen Grenze zwischen Indien und Afghanistan. Es war eine harsche Behandlung für einen sensiblen jungen Mann, der gerade von der Universität kam und er zahlte einen hohen Preis. Sein explosives Temperament in den folgenden Jahren war wahrscheinlich ein Symptom dessen, was wir heute posttraumatische Belastungsstörung nennen.
Für meine Mutter war das schwer zu ertragen. Als ausgebildete Ärztin war sie zur Armee eingezogen und nach Indien geschickt worden. Dort lernte sie meinen Vater kennen und sie heirateten am Ende des Krieges. Als sie 1957 mit vier Kindern und den häufigen Wutausbrüchen ihres Mannes zu kämpfen hatte, dachte sie ernsthaft daran, ihn zu verlassen. In diesem Jahr fuhren sie nach Caux.
Eine Konferenz war bereits in vollem Gange und sie beteiligten sich daran, obwohl meine Mutter immer noch mit ihrer Verzweiflung rang. Eines Morgens war sie in ihrem Zimmer und nahm sich Zeit in der Stille. Mein Vater war draussen auf dem Balkon und schaute auf den Genfer See hinaus. Sie konnten hören, wie ein muslimischer Teilnehmer in einem nahe gelegenen Raum seine Gebete sprach. Vielleicht erinnerte sie das an die glücklichen Zeiten ihrer Verlobung und Ehe im heutigen Pakistan.
Ich sah seine Grösse und wusste, dass ich ihn nie verlassen würde.
Was auch immer es war, als mein Vater zurück in den Raum trat, so sagte mir meine Mutter, sah sie ihn plötzlich in einem neuen Licht. Während sie sich zuvor auf seine Fehler beschäftigt hatte, erklärte sie später: "Ich sah seine Grösse, und ich wusste, dass ich ihn nie verlassen würde".
Sie lernte, sich von seinen Ausbrüchen nicht mehr so deprimieren zu lassen. Und es wurden weniger davon, denn mein Vater entdeckte eine neue Ruhe im seinem Herzen. Es herrschte mehr Harmonie in unserem Haus. Das hat mich als Siebenjährigen sehr beeindruckt.
In den folgenden Jahren war mein Vater als Offizier nach wie an vielen anstrengenden und gefährlichen Einsätzen beteiligt. Aber er meisterte sie anders. Sein christlicher Glaube war für reell, und seine Liebe zu meiner Mutter, und ihre zu ihm, war unerschütterlich. Wahrscheinlich war dies für mich als junger Mann ein wesentlicher Faktor bei meiner Entscheidung, mich der Arbeit der Moralischen Aufrüstung (heute Initiativen der Veränderung) zu widmen. Ich wusste aus erster Hand, dass eine verletzte Seele geheilt werden kann.
Ich bezweifle, dass ich dies hätte bewältigen können, wenn ich nicht gesehen hätte, wie meine Eltern damit umgegangen waren.
In meiner Arbeit habe ich an zahlreichen Initiativen teilgenommen, die dazu beigetragen haben, Gemeinschaften, die sich mit Konflikten auseinandersetzen müssen, zu versöhnen und soziale Gerechtigkeit zu fördern. Nichts davon war einfach. Ich musste mich Rückschlägen und Herausforderungen vieler Art und manchmal traumatischen Ereignissen stellen.
Ich bezweifle, dass ich dies hätte bewältigen können, wenn ich nicht gesehen hätte, wie meine Eltern damit umgegangen waren. Während ihres Ehelebens arbeiteten sie in zehn Ländern auf vier Kontinenten. Sie sahen sich Entbehrungen, Gefahren und Krankheiten ausgesetzt, aber sie verloren nie ihre Lebensfreude und ihre Wertschätzung für andere, die warme Freundschaften über kulturelle Unterschiede hinweg entstehen liess.
Caux spielte dabei eine Rolle, und ich werde immer dafür dankbar sein.
John Bond ist der Sekretär von Initiatives of Change International. Er lebt in Oxford/England und hat mit Initiativen der Veränderung in über 30 Ländern gearbeitet. Fünf Jahre lang koordinierte er das Caux Forum für menschliche Sicherheit. Zuvor war er Sekretär des australischen National Sorry Day Committee, das eine Million Australierinnen und Australier für Initiativen zur Überwindung des Schadens, der den australischen Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern durch die grausame und fehlgeleitete Politik der Vergangenheit zugefügt wurde, gewinnen konnte. Dafür wurde er mit der Medal of the Order of Australia ausgezeichnet. Sein neuestes Buch Sorry and Beyond, das er gemeinsam mit dem Aborigine-Führer Brian Butler verfasst hat, erzählt die Geschichte der Kampagne.
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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Einzelpersonen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie eine Geschichte kennen, die sich für diese Serie eignet, leiten Sie Ihre Ideen bitte per E-Mail an John Bond oder Yara Zhgeib. weiter. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.
- Alle Fotos: John Bond
- Korrekturlesung: Sebastian Hasse