Offizielle Eröffnung des Caux Forums 2017
30. Juni 2017
12/07/2017
"Wir sind die erste Generation, die entscheiden kann, ob wir auch die letzte sind."
"Wir sind die erste Generation, die entscheiden kann, ob wir auch die letzte sind.", erklärte Kate Gilmore, stellvertretende UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, am 30. Juni 2017 den Gästen aus aller Welt bei der offiziellen Eröffnung des Caux Forums 2017. Allen Fortschritten bei der Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO zum Trotz sei das Ungleichgewicht "schlimmer, tiefer und breiter" geworden. Gilmore sagte, sie sei überzeugt, der Krieg gegen den Terror hätte die Welt davon abgehalten, sich mit Menschenrechtsfragen, die für eine nachhaltige Zukunft grundlegend seien, auseinanderzusetzen.
"Es ist nicht nachhaltig, wenn einige Wenige privilegiert sind und viele in Verzweiflung leben.", fuhr Gilmore fort. Sie rief die Menschheit dazu auf, "grosszügig zu sein und empathisch und untereinander verbunden zu leben", um einer Welt der Interdependenzen Frieden zu bringen und Ungleichheit zu reduzieren.
Die offizielle Eröffnung des Caux Forum 2017 war in ihrer Auseinandersetzung mit der Verknüpfung zwischen Ungleichheit und Extremismen richtungsweisend für die Events dieses Sommers. Die Veranstaltung wurde vom Stadtpräsidenten von Montreux, Laurent Wehrli, und dem Präsidenten der Stiftung CAUX-IofC, Antoine Jaulmes, eröffnet. Die Teilnehmenden hörten beim Storytelling Berichte von zwei Referenten. Einer von ihnen ist Flüchtling, der andere Überlebender eines Terrorangriffs, doch beide hatten Extremismen am eigenen Körper zu spüren bekommen. Moderiert wurde das Storytelling von Barbara Hintermann, Generalsekretärin der Stiftung CAUX-IofC.
"Ich hatte kein Ziel."
Als Hasan Hawar sein Studium an der Universität in Damaskus/Syrien begann, hätte er es sich nie träumen lassen, dass er eines Tages die Uni, sein Zuhause und seine Familie verlassen würde, um in die Türkei zu fliehen. Er landete in einem Land, dessen Sprache er nicht sprach. Er hatte keinerlei Einkommen und hatte "das Vertrauen in die Menschheit" verloren. Als er beschloss, weiterzureisen, hatte er kein Ziel. "Alles, was ich wollte, war ein sicherer Ort, ein Ort, an dem ich von vorne beginnen konnte." Nach einer schwierigen Reise erhielt Hawar in der Schweiz Asyl und konnte sein Studium beenden. Jetzt, so Hawar, sei es sein Traum, seine Familie wiederzusehen, die nach wie vor in Syrien lebt und die er seit fünf Jahren nicht gesehen hat.
"Wir sind alle das Ergebnis der Geschichten über uns, von denen wir glauben, dass sie wahr sind."
Bjørn Ihler beschrieb seine Erfahrungen auf der norwegischen Insel Utøya im Jahr 2011, als ein Rechtsextremist 69 junge Mitglieder der Arbeiterpartei umbrachte, die an einem Sommercamp teilnahmen, um aus "Norwegen eine bessere Gesellschaft zu machen." Als Anders Breivik mit seinem Gewehr auf ihn zielte, dachte Ihler, er würde nicht älter als 20 Jahre alt werden. Er überlebte den Angriff und überlegte anschliessend, wie jemand, der ganz ähnlich wie er selbst aufgewachsen war, so gewalttätig werden konnte. Im Gegensatz zu Ihler, der mit der Überzeugung aufwuchs, eine friedliche Koexistenz trotz Vielfalt sei möglich, isolierte sich Breivik von seiner Umgebung und sah sie als Bedrohung seiner Identität an. "Wir sind alle das Ergebnis der Geschichten über uns selbst, von denen wir glauben, dass sie wahr sind.", erklärte Ihler. "Extremismus ist nicht Teil einer bestimmten Religion und Ideologie und wir vergessen oft, dass Extreme in jeder Gesellschaft entstehen." Ihler arbeitet inzwischen für die Initiative der Kofi Annan-Stiftung "Extremely Together" und möchte Menschen verschiedener Herkunft zusammenbringen. Seine Botschaft lautet: "Meine Identität ist keine Bedrohung deiner Identität." Er stellte fest, er und Hawar seien sich durch ihren "starken Willen, weiterzuleben und für eine bessere Welt zu kämpfen" ähnlich.
Ungleichheit als Zündstoff für Extremismen?
Im Anschluss an die Berichte von Hawar und Ihler fand eine Podiumsdiskussion über die Verknüpfungen zwischen Ungleichheit und Extremismen statt, die von Eric Marclay vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP) moderiert wurde. Ausser Kate Gilmore waren Raphaël Nägeli vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten und Ramiro Santa, Direktor der Abteilung Soziale Unternehmensverantwortung bei OCENSA, anwesend. Gilmore erklärte, Extremismen lebten von Verzweiflung und Armut und mobilisierten die Massen, indem sie deren Hilflosigkeit angesichts von Chancenungleichheit und materieller Vorteile hervorhöben und suggerierten, jemand anderes sei Schuld daran.
Nägeli erinnerte das Publikum daran, "Ungleichheit hat es schon immer gegeben und wir müssen uns damit auseinandersetzen." Ein inklusiver Friedensprozess müsse jeden einschliessen, auch Terroristen, sagte er. Respekt für Menschenrechte sollte die Grundlage jedes Friedensabkommens sein: es gäbe deutliche Beweise gewaltbereiter Extremismen in Gesellschaften, in denen Menschenrechte nicht respektiert würden. Er bevorzugte einen pragmatischen Ansatz und gab zu, Staaten verfolgten nationale Interessen. Es sei wichtig, ehrlich und selbstkritisch zu sein. Aus Regierungssicht glaube er, der Bau von Brücken sei besonders wichtig bei der Lösungsfindung. Diese Brücken jedoch, seien sie nun eng oder breit, müssten kontrolliert werden.
Ramiro Santa sprach aus dem Blickwinkel des Privatsektors. Er unterstrich, im Kampf gegen Ungleichheit sei es die Rolle der Wirtschaft, Transparenz zu gewährleisten, Chancen aufzutun und Menschen über ihre Rechte aufzuklären. In Kolumbien habe ein mehr als 50-jähriger Bürgerkrieg zum Ausschluss vieler abgeschieden lebender Gruppen geführt. Ein Weg zu grösserer Inklusion sei die Schaffung von Chancen für Frauen, da dies die effektivste Weise sei, diese Gruppen zu erreichen.
"Den Dialog mit unseren Ururenkeln suchen"
Angesichts einer Welt, deren Bevölkerung zahlenmässig grösser und jünger ist als je zuvor erklärte Kate Gilmore: "Angst, Privilegien und Sorge gehört den Alten und machen alt. Verzweiflung, Armut und Hoffnungslosigkeit waren nie jünger." Kriege im Jemen, dem Südsudan oder in der Zentralafrikanischen Republik waren die Kriege von Kindern. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was getan werden kann, um die junge Generation in die Diskussion miteinzubeziehen. Gilmore sieht eine der Antworten in der Schaffung generationsübergreifender Dialoge, um Chancen, Wohlstand und Partizipation an die kommenden Generationen weiterzugeben.
Generationsübergreifende Dialoge und die Stärkung junger Menschen ist zentraler Teil des Caux Forums und seiner vielen Trainingsprogramme. "Initiativen der Veränderung ermutigt Führungspersönlichkeiten, Toleranz zu leben und sich für ethische Prinzipien und hohe Massstäbe zu engagieren.", schlussfolgerte Cornelio Sommaruga, Ehrenpräsident von IofC International. "Akademische Diskussionen reichen nicht, wir müssen uns alle für aktives Handeln einsetzen."
· Sie konnten bei der offiziellen Eröffnung nicht dabeisein? Sie können auf unserer Facebookseite Videos einsehen.
· Mehr Informationen über das Caux Forum finden Sie hier.
Fotos: Jonty Herman
Foto Jonty Herman: Michèle Bächtold-Goetze und Sonia Hauser bei ihrer Darbietung von Liedern von Johannes Brahms und Richard Strauss