2008: Learning to be a Peacemaker – "Die Augen gegenüber der Welt öffnen"
17/11/2021
2008 wurde ein ungewöhnlicher Kurs über den islamischen Ansatz zur Friedensstiftung ins Leben gerufen, der von Imam Ajmal Masroor aus England entwickelt wurde. Der Koordinator des Kurses, Peter Riddell, beschreibt, wie es dazu kam:
"Meine Frau und ich hatten mitten in der Nacht ein ehrliches Gespräch," erzählte mir Imam Ajmal Masroor aus London, als er im Sommer 2007 zum Frühstück in den Speisesaal des Konferenzzentrums von Initiativen der Veränderung in Caux kam. Er nahm an einer Konferenz mit dem Titel Tools for Change (T4C) teil und hatte wohl am Abend zuvor in der Eröffnungssitzung den Begriff "ehrliches Gespräch" gehört.
Sein strahlendes Gesicht deutete darauf hin, dass es eine positive Erfahrung gewesen war - zumindest für ihn. Später schloss sich uns seine Frau mit ihrer kleinen Tochter an - und beide sahen entspannt aus. "Es kann also nicht allzu schlecht gelaufen sein", dachte ich.
Dann sagte Ajmal, er wolle einen Vorschlag besprechen. Wäre es möglich, im Sommer 2008 in Caux einen Kurs für junge europäische Musliminnen und Muslime zum Thema Friedensstiftung im Islam abzuhalten? Er hatte diesen Kurs bereits in mehreren europäischen Ländern durchgeführt, wollte aber ein europaweites Publikum erreichen.
Er erklärte, dass sich junge europäische Musliminnen und Muslime, die als Kinder von Einwanderern der ersten Generation geboren wurden, oft zwischen den kulturellen Erwartungen ihrer Eltern und denen ihrer Altersgenossinnen und -genossen in der Schule oder Universität hin und hergerissen fühlten. Waren sie Europäer bzw. Europäerinnen oder das, was ihre Eltern waren? Sie fühlten sich in keiner der beiden Kulturen wohl oder akzeptiert.
Er war davon überzeugt, es gehe darum, zu begreifen, dass der Kern des Islam darin bestehe, Frieden zu stiften. Der Befehl Gottes laute: "Verbreitet Frieden unter euch," und Mohammed habe gesagt: "Dein Nachbar ist die Person, deren Tür der deinen am nächsten ist," Ein Aspekt des Friedensstiftens liege im Dienen und wenn man der Gemeinschaft diene, entdecke man, dass verschiedene Identitäten nicht im Widerspruch zueinander stünden, sondern sich ergänzten.
Wir probierten die Idee mit einer Gruppe junger Musliminnen und Muslime aus, die an Tools for Change teilnahmen. Ihre Begeisterung war offensichtlich, und das Planungsteam für den nächsten Caux-Sommer waren mit dem Pilotprojekt einverstanden. Das Abenteuer begann.
Ein Aspekt des Friedensstiftens liegt im Dienen und wenn man der Gemeinschaft dient, entdeckt man, dass verschiedene Identitäten nicht im Widerspruch zueinander stehen, sondern sich ergänzen.
Das neue Programm trug den Namen Learning to be a Peacemaker (LPM) und sollte einer von mehreren parallel ablaufenden Kursen im Rahmen der einwöchigen Tools for Change-Konferenz sein. Dadurch sollte eine kleine Gruppe junger Musliminnen und Muslime das Konferenzzentrum in Caux, den Ansatz von Initiativen der Veränderung sowie den Inhalt von Learning to be a Peacemaker entdecken. Dies sollte sie in die Lage versetzen, im Sommer 2009 als Gastgeber für den gesamten Kurs zu fungieren.
Und so trafen Ende Juli 2008 14 junge Musliminnen und Muslime aus Frankreich, Schweden, Deutschland und England in Caux ein.
Ajmal schaffte es, innerhalb kurzer Zeit eine aussergewöhnliche Menge an Information einzubringen, wie unter anderem die islamischen Prinzipien der Friedensstiftung, die Ethik der Meinungsverschiedenheit, friedensstiftende Initiativen des Propheten Mohammed, Gewalt und Extremismus, Loyalität und Staatsbürgerschaft, inneren und äusseren Frieden sowie die Eigenschaften von Friedenssschaffenden - illustriert mit persönlichen Erfahrungen.
Die Rückmeldungen der jungen Teilnehmenden waren positiv: "Der Kurs hat mich gelehrt, ehrlich, tolerant und offen zu sein", "mein Herz ist voller Hoffnung und mein Geist voller Energie, was die Zukunft der jungen Menschen in Europa (ob Musliminnen und Muslime oder nicht) angeht", "hat mir die Augen der Welt gegenüber geöffnet", lauteten einige der Rückmeldungen.
Der Kurs hat mich gelehrt, ehrlich, tolerant und offen zu sein.
Das Organisationsteam in Caux schätzten die Freundlichkeit und Disziplin, welche die Teilnehmenden in die Konferenz einbrachten, was besonders deutlich wurde, als sie zusammen mit anderen Konferenzteilnehmenden im Speisesaal oder in der Küche mithalfen. So wurde 2009 grünes Licht für eine "Doppelveranstaltung" gegeben: Die Teilnehmenden würden an dem fünftägigen LPM-Kurs und anschliessend bei Tools for Change mitmachen.
In jenem Jahr gab es über 50 Teilnehmende und 15 Teammitglieder aus sieben Ländern, darunter zum ersten Mal auch Nicht-Musliminnen und Nicht-Muslime. Der BBC World Service schickte einen Journalisten, der schrieb: "Diese Kombination aus orthodoxer islamischer Lehre und multireligiöser Spiritualität ist eine ungewöhnliche Mischung - aber sie spiegelt nach Ansicht des Organisationsteams die komplexe europäische Gesellschaft wider, in der diese jungen Musliminnen und Muslime leben." Und die Schweizer Lokalzeitung 24 Heures fragte in ihrem Artikel "Eine internationale Arbeitstagung versammelt junge Musliminnen und Muslime“ vom 13. August 2009: "Könnte der ehemalige Caux Palace heute der Ort sein, an dem der schwierige und unvermeidliche Dialog zwischen Europa und dem Islam neu erfunden wird?"
Obwohl es fünf Jahre gab, in denen die Ramadan-Termine eine Durchführung des Kurses verhinderten, ist dieser Kurs seither ein fester Bestandteil der Konferenzen in Caux. In den Jahren 2020 und 2021 wurde er auf Grund der Covid-Einschränkungen online durchgeführt. Mehr als 180 Teilnehmende aus einer Vielzahl von Ländern und Ethnien haben bislang daran teilgenommen.
"Die Wirkung war tiefgreifend. Erst als ich [in Caux] Menschen aus ganz Europa traf, die mich in ihr Herz nahmen, begann auch ich, Europa in mein Herz aufzunehmen" sagte Javed Latif, ein Maschinenbauingenieur aus den Niederlanden.
Die britische Studentin Maryam Shah sagte: "Anstatt zuzulassen, dass das Gefühl der Isolation oder des Ausgeschlossenseins zu Traurigkeit oder Gewalt führt, lernten wir, diese Emotionen in etwas viel Konstruktiveres umzuwandeln und darauf hinzuarbeiten, dass die Gesellschaft, in denen wir leben, integrativer, verständnisvoller und toleranter wird."
Und Omayma Soltani, eine französisch-muslimische Apothekerin mit tunesischen Eltern, verwies auf ihre vielfältigen Identitäten, als sie sagte: "Dieser Kurs hat mir geholfen zu verstehen, dass ich all diese Teile von mir akzeptieren muss, um mehr ich selbst zu sein, denn sie sind es, die mich definieren."
Rückblickend auf die gesamte Erfahrung sagt Imam Ajmal: "Innerer Friede, Friede mit den Mitmenschen und Friede mit Gott sind die Grundlagen für das Friedenstiften im Islam. Dieser Kurs ist mein Traum, der in Erfüllung gegangen ist, um Frieden in den Menschen zu fördern!"
Dieser Kurs ist mein Traum, der in Erfüllung gegangen ist, um Frieden in den Menschen zu fördern!
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Sehen Sie ein Interview mit Marwan Bassiouni, Learning to be a Peacemaker 2018.
Sehen Sie Videos von LPM 2009, 2011 und lesen Sie mehr über LPM 2019 sowie Reflexionen von Maryam Shah (2019) und Sabica Pardesi (2020) und den Bericht 2021.
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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Einzelpersonen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.
- Fotos und Videos: Initiativen der Veränderung
- Korrekturlesung: Maya Fiaux