2006: Zeke Reich – Mauern der Angst durchbrechen
11/11/2021
Zeke Reich ist Psychotherapeut in einer Klinik in Washington DC. Er erinnert sich lebhaft an eine Begegnung im IofC-Konferenzzentrum in Caux, die seine Lebensperspektive für immer verändert hat:
„Ich kam zum ersten Mal mit 23 Jahren nach Caux. Ich kam aus New York und war gespannt auf die Erfahrung, aber nicht wirklich darauf vorbereitet. Ich lebte in einer insularen Welt, umgeben von einem weissen, elitären und säkularen jüdischen Freundeskreis. Weder Spiritualität noch Vielfalt hatten einen wirklichen Platz in unserer Welt - und es gelang mir leicht, Unbehagen zu vermeiden.
Ich habe die spirituelle Erfahrung in Caux geschätzt, die meine Verbindung zu meinem eigenen religiösen Hintergrund vertiefte und im Allgemeinen wusste ich auch die interkulturelle Erfahrung zu würdigen.
Ich schloss Freundschaften, revidierte Vorurteile revidiert und öffnete mich Menschen, deren Leben und Kultur sich stark von der meinen unterschieden.
Aber wenn ich mit Konferenzteilnehmenden aus Nordafrika oder dem Nahen Osten zusammen war, konnte ich diese Offenheit nicht ausweiten. Fast unbewusst bildete ich mir ein, dass ich als Jude für die Taten des Staates Israel verantwortlich gemacht wurde.
Da ich weder in der Lage war, die israelische Politik zu verteidigen noch Kritik an ihr zu tolerieren, hielt ich Abstand zu Menschen aus dieser Region und hielt mein Herz aus Angst verschlossen.
Ich hielt mein Herz aus Angst verschlossen.
Die Dinge spitzten sich während meines dritten Sommers in Caux im Jahr 2006 zu, als der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon ausbrach. Ein Mann aus Beirut konnte nicht nach Hause zurückkehren, und die Teilnehmenden aus der Region waren in Aufruhr. Ich und andere jüdische Amerikanerinnen und Amerikaner in Caux hatten das Gefühl, die Augen der gesamten Konferenz seien auf uns gerichtet waren und wir repräsentierten für viele Menschen "den Feind".
Mein erster Instinkt war, mich noch mehr abzugrenzen: meine Mauern aufrechtzuerhalten, Unbehagen zu vermeiden, aus Angst die Kontrolle zu behalten. Aber dies wurde durch den Geist von Caux vereitelt - oder besser gesagt, durch die beharrliche Ermutigung durch zwei weisshaarigen Frauen aus verschiedenen Kontinenten, die es nicht zuliessen, dass ich mich der Herausforderung eines ehrlichen Dialogs entzog.
Und so kam es, dass ich in einer ruhigen Ecke der grossen Halle mit einer Frau aus dem Gazastreifen sass, die ich von früheren Besuchen in Caux kannte und von der ich mich erfolgreich distanziert hatte. Ich machte mich auf eine Debatte gefasst, denn ihre Ansichten anzuhören, ohne sie zu widerlegen, hätte bedeutet, alle meine Vorfahren zu verraten.
"Ich möchte nur, dass Sie zuhören."
Aber anstatt eine Debatte zu beginnen, sagte die Frau: "Ich möchte, dass Sie mir zuhören, wie es für mich zu Hause ist. Sie müssen nicht mit allem einverstanden sein, was ich sage, und Sie müssen sich auch nicht verteidigen. Ich möchte nur, dass Sie zuhören.“ Zum ersten Mal begann ich, meine Mauern fallen zu lassen.
Sie beschrieb israelische Hubschrauber, die über ihr Haus flogen, schlaflose Nächte, in denen sie auf Explosionen wartete, tägliche Ausbrüche hilfloser Wut - unumstössliche Fakten aus ihrem Leben. Plötzlich waren Fragen der Politik und der Schuldzuweisung irrelevant. Dies war die Wahrheit ihrer Erfahrung, die ich zu schätzen wusste und für die ich mich interessierte, anstatt mich auf meine eigene Angst, beschuldigt zu werden, zu konzentrieren.
Nach dieser Nacht eröffnete sich mir eine neue Welt. Ich spielte Fussball mit einer Gruppe aus Tunesien, ging mit dem Mann aus Beirut spazieren und wachte um 4 Uhr morgens auf, um mit ägyptischen Musliminnen und Muslimen zu beten. Ich begann, jeden Menschen als Individuum zu sehen und nicht als Vertreter oder Vertreterin einer ganzen Region; und im Gegenzug hörte ich auf, mir vorzustellen, ich würde nur als Abgesandter Israels gesehen.
Gleichzeitig war ich für einige meiner neuen Freundinnen und Freunde die erste jüdische Person, die sie je getroffen hatten. Als ich jüdischen Werte erläuterte und den traditionellen Freitagabendsegen sang, freute ich mich nicht nur darüber, dass ich meine Spiritualität mit ihnen teilen konnte, sondern auch darüber, dass ich selbst eine tiefere Verbindung zu ihr hatte.
Ich begann, jeden Menschen als Individuum zu sehen, nicht als Vertreterin oder Vertreter einer ganzen Region.
Am Ende der Konferenz gab es eine Zeit des Austauschs über die Woche und ich meldete mich zu Wort. Ich sprach über die Angst, die mich beherrscht hatte, und bat meine Freundinnen und Freunde, mir meine Abwehrhaltung zu verzeihen.
Während ich sprach, spürte ich, wie mein Körper von zwei ungewohnten und doch seltsam angenehmen Empfindungen ergriffen wurde: meine Füsse, die mich auf den Boden drückten und mein Herz, das vor Freude platzte. Ich habe mich noch nie so sehr in meinem eigenen spirituellen Erbe verwurzelt gefühlt - und gleichzeitig war ich noch nie so bereit gewesen, mit anderen in Kontakt zu treten und die Mauern der Angst, die vorher existiert hatten, zu durchbrechen.
Mehr über die Tools for Change-Konferenz, an der Zeke 2006 in Caux teilnahm
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Zeke spricht 2006 bei der Tools for Change-Konferenz in Caux (ab 9"23')
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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Einzelpersonen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.
- Porträt: Joanna Margueritte
- Alle andern Fotos: Initiativen der Veränderung (IofC)
- Video Howard Grace Report Caux 2006: IofC & For A New World-Archive
- Korrekturlesung: Maya Fiaux