1994: Der Runde Tisch von Caux - Grundsätze für die Wirtschaft
Von Maarten de Pous
30/09/2021
Im Juli 1994 wurden vom Caux Round Table (CRT), einem internationalen Forum von Wirtschaftsführern, das sich seit 1986 in Caux traf, eine Reihe von Grundsätzen für die Wirtschaft lanciert.
Diese Grundsätze wurden in der Financial Times unter der Überschrift "The search for universal ethics" (Suche nach universaler Ethik) veröffentlicht. Der Management-Redakteur der Zeitung, Tim Dickson, kommentierte, es sei möglicherweise das erste Mal, dass "ein Dokument dieser Art einflussreiche Unterstützer aus Europa, Japan und den USA gefunden hat".
Neun Jahre zuvor schien die Chance auf ein solches gemeinsames Vorgehen noch gering. 1985 warnte ein Artikel in einer grossen niederländischen Zeitung, dem NRC Handelsblad, davor, dass Japan die europäische Elektronikindustrie ruinieren würde, indem es seine Produkte weit unter dem Marktwert anbot, so wie es bereits die amerikanische Automobilindustrie unterboten hatte. Der Artikel trug die Überschrift "Das falsche Lächeln Japans".
Frits Philips, der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Philips Electronics, und Olivier Giscard d'Estaing, stellvertretender Vorsitzender des französischen Management-Instituts INSEAD, hatten beide an den jährlichen Industriekonferenzen teilgenommen, die seit Anfang der 70er Jahre in Caux stattfanden. Sie waren so besorgt über den drohenden Handelskrieg, dass sie japanische Wirtschaftsführer, die sie auf diesen Konferenzen kennengelernt hatten, anschrieben und sie zu einem informellen Treffen mit führenden Wirtschaftsvertretern aus Europa und Amerika einluden.
Die Japaner reagierten positiv und im Sommer 1986 traf eine Delegation in Caux ein. Zu ihr gehörten der Präsident von Canon, Ryuzaburo Kaku, der ehemalige Präsident von Matsushita Electronics, Toshihiko Yamashita, und der Herausgeber der Japan Times, Toshiaki Ogasawara.
Das erste Treffen der 30 Teilnehmer endete beinahe in einer Katastrophe. Den Japanern war gesagt worden, dass Caux dafür bekannt sei, Vertrauen und Verständnis zu schaffen und die Menschen zu ermutigen, nach dem zu suchen, was richtig ist, und nicht danach, wer recht hat. Aber die europäischen und amerikanischen Teilnehmer waren so frustriert über die japanischen Handelspraktiken, dass sie ihre Gefühle in aller Deutlichkeit zum Ausdruck brachten. Wie es ihre Gewohnheit ist, hörten die japanischen Teilnehmer zu und warteten geduldig, bis sie die Möglichkeit hatten, zu antworten, aber zu diesem Zeitpunkt waren sie so beleidigt, dass sie keine Lust hatten, die Sitzung fortzusetzen.
Caux dafür bekannt sei, Vertrauen und Verständnis zu schaffen und die Menschen zu ermutigen, nach dem zu suchen, was richtig ist, und nicht danach, wer recht hat.
Glücklicherweise einigte man sich in der Mittagspause darauf, einen neuen Ansatz zu versuchen. Der Nachmittag begann in kleinen Gruppen, wobei die japanischen Teilnehmer zuerst sprachen. Die Atmosphäre verbesserte sich, und die fruchtbaren Gespräche setzten sich für den Rest der zweitägigen Versammlung fort. Am Ende einigten sich die Teilnehmer darauf, sich jährlich in Caux zu treffen.
Diese Zusammenkünfte wurden als Caux Round Table Global Dialogues bekannt. Dazwischen fanden kleinere Tagungen in Japan, den USA, Taiwan, Singapur, China, Mexiko und verschiedenen europäischen Ländern statt, die mit Hilfe der IofC-Kollegen in Japan und den USA organisiert wurden.
Während dieser Dialoge wurde deutlich, dass es einen Bedarf an Unternehmensgrundsätzen gibt, welche die Interessen und Verantwortungen aller Beteiligten berücksichtigen.
Es bestand ein Bedarf an Geschäftsprinzipien, die die Interessen und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten berücksichtigen.
Auf der Grundlage der Minnesota-Prinzipien (entwickelt vom Minnesota Center for Corporate Responsibilty) erarbeitete der CRT seine eigenen Unternehmensgrundsätze.
In den Wochen nach dem Artikel von Tim Dickson in der Financial Times wurde das CRT-Sekretariat in Den Haag mit Bestellungen für die Grundsätze von Wirtschaftshochschulen, Unternehmensleitern, Nachrichtenmedien und Akademikern aus der ganzen Welt überschwemmt. Als europäischer Koordinator des CRT war es meine Aufgabe (Maarten de Pous), auf diese Lawine des Interesses zu reagieren.
Die Grundsätze, die später in 12 Sprachen übersetzt wurden, legten den Schwerpunkt auf die Ermittlung gemeinsamer Werte, die Versöhnung unterschiedlicher Werte und die Entwicklung einer "gemeinsamen Sichtweise des Geschäftsverhaltens, die für alle akzeptabel ist und von allen respektiert wird". Tim Dickson schrieb: "Die Grundsätze sollen zwei ethischen Traditionen entstammen: der japanischen Philosophie des kyosei, die von Ryuzaburo Kaku von Canon als 'Zusammenleben und -arbeiten für das Gemeinwohl der Menschheit' beschrieben wird, und der 'Menschenwürde', die sich auf die Heiligkeit oder den Wert jeder Person als Zweck und nicht nur als Mittel zur Erfüllung der Ziele anderer oder gar der Mehrheitsvorschrift bezieht."
Unternehmen sollten schützen.
Im Jahr 1994 war die soziale Verantwortung der Unternehmen bereits ein anerkanntes Konzept. In den Grundsätzen wurde jedoch präzisiert, was es für ein Unternehmen bedeutet, über die Interessen der Aktionäre hinauszugehen und die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen: Kunden, Mitarbeiter, Eigentümer/Investoren, Lieferanten, Konkurrenten und Gemeinschaften. Und sie betonen, dass Unternehmen die Umwelt schützen und, wo möglich, verbessern, eine nachhaltige Entwicklung fördern und die Verschwendung natürlicher Ressourcen verhindern sollen.
Heute wird der Runde Tisch von Caux als Caux Round Table Japan und als Caux Round Table for Moral Capitalism mit Sitz in den USA weitergeführt. Initiativen der Veränderung Schweiz fördert weiterhin das Erbe der Runden Tische von Caux und unterstützt und veranstaltet Anlässe zu ethischer Führerschaft in der Wirtschaft.
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Gerade als wir diesen Artikel veröffentlichen wollten, erhielten wir die traurige Nachricht, dass Olivier Giscard d'Estaing, einer der Mitbegründer des Runden Tisches von Caux, am 13. September 2021 im Alter von fast 94 Jahren verstorben ist. Er war ein französischer Geschäftsmann und Politiker, bekannt für seine Rolle bei der Gründung und Leitung der Wirtschaftshochschule INSEAD in Fontainebleau.
Bei einem Besuch in Japan anlässlich eines CRT-Treffens im Jahr 1987 sagte er zu seinen japanischen Gastgebern: „Wir glauben an Wunder. Japan hat bereits zwei vollbracht: den Wiederaufbau nach dem Krieg und den Durchbruch zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt. Gemeinsam müssen wir nun ein drittes vollbringen – die Partnerschaft bei der Lösung der bestehenden Spannungen.“
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Die 7 Prinzipien des Caux Round Table für verantwortungsvolles Wirtschaften
Grundsatz 1:
Stakeholder jenseits der Aktionäre respektieren. Ein verantwortungsbewusstes Unternehmen trägt Verantwortung über seine Investoren und Manager hinaus.
Grundsatz 2:
Einen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung leisten.
Grundsatz 3:
Vertrauen schaffen, indem man über den Wortlaut des Gesetzes hinausgeht.
Grundsatz 4:
Regeln und Konventionen respektieren.
Grundsatz 5:
Eine verantwortungsvolle Globalisierung unterstützen.
Grundsatz 6:
Die Umwelt respektieren.
Grundsatz 7:
Illegale Aktivitäten vermeiden.
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Entdecken Sie das Video 25 Jahre Caux Round Table (2012).
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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Einzelpersonen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie eine Geschichte kennen, die sich für diese Serie eignet, leiten Sie Ihre Ideen bitte per E-Mail an John Bond oder Yara Zhgeib. weiter. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.
- Foto-Porträt Frits Philips und Oliver Giscard d'Estaing: Rob Lancaster
- Alle anderen Fotos: Fotograf unbekannt
- Video: 25 Jahre Runder Tisch von Caux (2012), erstellt von www.keystoneprod.com.
- Korrekturlesung: Maya Fiaux