1981: Stanley Kinga und Agnes Hofmeyr - "Ich spürte in meinem Innersten, dass ich es ihr sagen musste“
Von Mary Lean
12/08/2021
Als Agnes Hofmeyr 1981 in Caux mit ihrem Landsmann Stanley Kinga beim Abendessen sass, ahnte sie nicht, was für eine Bombe er gleich platzen lassen würde.
Sechsundzwanzig Jahre zuvor, während des Mau-Mau-Aufstandes gegen die britische Kolonialherrschaft, war Agnes' Vater, Gray Leakey, als Menschenopfer lebendig auf dem Mount Kenia begraben worden. Damals war Stanley ein Anführer der Mau Mau: "Wir dachten, es sei an der Zeit, dass die Europäer gehen sollen.". Später kam er zu der Überzeugung, dass Gewalt nicht die Lösung sei.
Agnes und Stanley waren sich 1960 in Caux begegnet und hatten sich als Kollegen kennengelernt, die sich für ein Ende von Rassismus, Unterdrückung und Korruption in Afrika einsetzten. Stanley hatte eine Schlüsselrolle dabei gespielt, den Film der Moralischen Aufrüstung (jetzt Initiativen der Veränderung) Freedom nach Kenia zu bringen, wo ihn eine Million Menschen im Vorfeld der Unabhängigkeit 1963 sahen. Bei seiner Tätigkeit, Land von Europäern zu kaufen und an Menschen in Kenia umzuverteilen, war er für seine Unbestechlichkeit bekannt.
Doch bis zu diesem Abendessen im Jahr 1981 hatte Agnes keine Ahnung, dass Stanley in den Tod ihres Vaters verwickelt war.
"Plötzlich wurde mir klar, dass ich ihr sagen musste, dass ich in dem Komitee sass, das beschloss, ihr Vater solle lebendig begraben werden", sagte Stanley später. Gray Leakey war ausgewählt worden, weil er als guter Mensch bekannt war. "Unsere Prophetin hatte uns gesagt, dass der Krieg zu Ende sein werde, wenn wir den besten Europäer töten."
"Ich konnte meinen Ohren nicht trauen.", schrieb Agnes in ihren Memoiren Beyond Violence. "Ich bat ihn, zu wiederholen, was er gesagt hatte. Schliesslich sagte ich: 'Gott sei Dank haben wir beide das Geheimnis der Vergebung erfahren.'
Gott sei Dank haben wir beide das Geheimnis der Vergebung erfahren.
Agnes hatte die niederschmetternde Nachricht vom Tod ihres Vaters im Oktober 1954 erhalten, als sie und ihr Mann Bremer, ein Südafrikaner, mit der Moralischen Aufrüstung in den USA arbeiteten. Sie war überwältigt von Trauer und Wut.
Schliesslich wandte sie sich auf Bremers Anregung hin ihrer regelmäßigen Praxis des Gebets in der Stille zu. Dabei kam ihr ein "unmöglicher" Gedanke: Hass und Bitterkeit abzulehnen und "mehr denn je zuvor dafür zu kämpfen, um bei Schwarzen und Weissen gleichermaßen einen Sinneswandel herbeizuführen".
...mehr denn je zuvor zu kämpfen, um bei Schwarzen und Weissen gleichermaßen einen Sinneswandel herbeizuführen.
Einige Monate zuvor waren die Hofmeyrs in Kenia gewesen und hatten mit Agnes' Vater ein Gefangenenlager für gefangene Mau-Mau-Anführer besucht. Einige der Gefangenen, die während der Internierung einen Sinneswandel vollzogen hatten, erzählten ihnen von den Ungerechtigkeiten und der Diskriminierung, die sie in die Mau Mau getrieben hatten.
"Ich war sehr erschüttert von all dem, was ich hörte“, schrieb Agnes,„aber innerlich mauerte ich mich gegen jedes persönliche Schuldgefühl ab und sagte mir, dass es andere Weisse waren, die diese Dinge getan hatten, nicht ich“. Nun, da sie sich mit dem Tod ihres Vaters auseinandersetzen musste, überdachte sie ihre Einstellung.
1955 waren die Hofmeyrs wieder in Kenia, zusammen mit einer grossen internationalen Gruppe der Moralischen Aufrüstung. Trotz eines Versammlungsverbots genehmigten die Behörden eine Massenversammlung nördlich von Nairobi. Als Agnes als die Tochter ihres Vaters vorgestellt wurde, stockte den Zuschauern der Atem.
"Ich entschuldigte mich für die Arroganz und den Egoismus so vieler weisser Menschen, die dazu beigetragen hatten, die Bitterkeit und den Hass in ihren Herzen zu schüren“, schrieb sie. Sie sprach von ihrer Entschlossenheit, sich für einen Wandel einzusetzen. Viele kamen anschliessend zu ihr, um ihre Trauer und Unterstützung auszudrücken. "Alle Spuren von Bitterkeit, die in meinem Herzen verblieben waren, wurden weggewaschen.“
Alle Spuren von Bitterkeit, die in meinem Herzen verblieben waren, wurden weggewaschen.
1981 hatte Stanley beim Abendessen noch eine weitere Überraschung für Agnes parat. In Kenia hatten gerade Parlamentswahlen stattgefunden und er war Mitglied des Ausschusses zur Auswahl der Kandidaten für die regierende KANU-Partei. Er hatte sich für die Nominierung des einzigen Weissen eingesetzt, der gewählt wurde - Agnes' Cousin Philip Leakey.
Als sich ihre Begegnung herumsprach, wurden Agnes und Stanley eingeladen, in einer Plenarsitzung Seite an Seite zu sprechen. Stanley stimmte zu, aber Agnes war besorgt darüber, wie ihre Schwägerin, die ebenfalls an der Konferenz teilnahm, reagieren würde.
Zu ihrer Erleichterung riet ihre Schwägerin Agnes, den Vortrag zu halten. "Das ist es, was die Welt wissen muss", sagte sie, "die Antwort auf Hass und Bitterkeit".
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Sehen Sie in dem Film African Tale, der teilweise von Bremer Hofmeyr erzählt wird (1956): Mau-Mau-Gefangenenlager (4"00), Bremer Hofmeyr präsentiert eine Gruppe, die mit ihm reist (20"45)
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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Menschen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie eine Geschichte kennen, die sich für diese Serie eignet, leiten Sie Ihre Ideen bitte per E-Mail an John Bond oder Yara Zhgeib. weiter. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.
- African Tale, MRA/Positive Production, 1956
- Beyond Violence, Agnes Hofmeyr, Jomo Kenyatta Foundation, Grovenor Books, 1990
- Foto oben: Pieter Horn
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