Runder Tisch in Genf 20. Feb 2015: "Opfer und Täter neu definieren"
09/03/2015"Opfer und Täter neu definieren": Heilung, Versöhnung und Kampf gegen Straflosigkeit
Opfer und Täter - wie können diese Begriffe neu definiert werden? Experten aus den Fachbereichen Friedensbildung, dem Kampf gegen Folter und der Heilung verletzter Erinnerungen nahmen am 20. Februar 2015 an einer Diskussion um den Runden Tisch im Maison des Associations in Genf/Schweiz teil und diskutierten vor 42 interessierten Zuhörern. Veranstaltet wurde das Event im Rahmen der Veröffentlichung der französischen Version von Michael Lapsleys Buch "Redeeming the Past".
Michael Laspley ist anglikanischer Pfarrer und Aktivist, der sowohl ein Auge als auch seine Hände durch eine Briefbombe verlor, die im auf dem Höhepunkt seines Kampfes gegen die Apartheid zugeschickt worden war. Er arbeitet für das Institut zur Heilung von Erinnerungen, das er gegründet hat und das sichere Rahmenbedingungen schafft, um sich mit vergangenen Ereignissen auseinanderzusetzen, wenn andere öffentliche Räume (und solche, die von der Regierung zur Verfügung gestellt werden) ihre Rolle nicht effektiv ausfüllen können. Daphrose Barampama war die zweite Sprecherin der Veranstaltung. Sie suchte als junge Frau in der Schweiz Zuflucht, nachdem sie vor Unterdrückung in Burundi fliehen musste, weil sie sich öffentlich gegen die aktuelle Regierung gestellt hatte. Sie ist in der Zwischenzeit nach Burundi zurückgekehrt, um Friedenskreise für Frauen (und einige Männer) zu leiten, die Wunden der Vergangenheit ansprechen und neue Wege der Zusammenarbeit und des Austauschs persönlicher Erfahrungen ausarbeiten. Gerald Staberock ist Jurist und arbeitet als Generalsekretär bei der Weltorganisation gegen Folter. Er war der dritte Sprecher des Events und sprach darüber, wie Nichtregierungsorganisationen durch Vorarbeit Folter verhindern und Opfer von Ungerechtigkeit und Organisationen vor Ort unterstützen können.
Jeder Sprecher ging unterschiedlich auf die Fragen der Moderatorin ein, was zu einem lebhaften Dialog führte. Nachdem sie eigene Lebensgeschichte erzählt und die wichtigsten Ideen ihrer Arbeit vorgestellthatten, wurden die Sprecher gefragt, wie ihre Arbeit den Einsatz anderer Schlüsselakteure ergänze.
Lapsley und Barampama konzentrierten sich auf individuelle Heilung und dem Umgang des Einzelnen mit der Vergangenheit. Ihrer Meinung nach kommt die Heilung einer Nation durch die Heilung der Einzelnen. Lapsley sagte: "Es ist wichtig, sich nicht darauf zu konzentrieren, was wir über die Vergangenheit denken, sondern was wir fühlen. Letztendlich zerstört dies nicht den Feind, sondern uns. Wir werden Gefangene dessen, was uns zugestossen ist." Für Barampama liegt der erste Schritt zur Heilung und dem Umgang mit der Vergangenheit in der Akzeptanz dessen, was geschehen ist. Dies spiele eine aktive Rolle, wenn es darum geht, sich selbst, aber auch dem Täter zu vergeben. "Wir warten oft darauf, dass andere uns unsere Freiheit zurückgeben, aber in Wirklichkeit liegt es an uns, sie uns zurückzuholen." Die Weltorganisation gegen Folter konzentriert sich auf die Stärkung der Zivilgesellschaft, aber auch darauf, die internationale Gemeinschaft rechtzeitig durch "Frühwarnung" auf schwelende Konfliktsituationen aufmerksam zu machen.
Die letzte Frage der Moderatorin ging darum, ob und wie über die Begriffe "Opfer" und "Täter" hinausgegangen werden könne.
Lapsley und Barampama gingen beide davon aus, dass diese Bezeichnungen der Wahrheit nicht gerecht werden: "Alle Menschen sind fähig, Opfer und/oder Täter zu sein. Es gibt viele Situationen, in denen wir beides gleichzeitig sind. Diejenigen, die einmal Opfer waren, können aus Rache Täter werden und Täter können Opfer ihres eigenen Handelns werden." Vor allem in Zeiten gewalttätiger Auseinandersetzungen sei die Trennung zwischen Opfern und Tätern oft verschwommen. In Burundi und den Friedenskreisen werde oft das Wort "Unbuntu" benutzt - Du bist ich und ich bin du. Barampama erklärte, wenn ein Mensch schwach oder krank sei, seien alle anderen auch krank. Dies sei wichtig im Umgang miteinander um eine starke Gemeinschaft aufzubauen.
Juristisch gesehen seien die Begriffe "Opfer" und "Täter" Definitionen, jede mit ihren eigenen Rechten und Verantwortungen. Ein Opfer von Folter, sei diese Person nun "guté" oder "böse", habe das Recht, vom Gesetz geschützt zu werden. Ein "Täter" habe die Verpflichtung, alle Verantwortung und die entsprechenden Konsequenzen zu tragen. Staberock erklärte, Regierungen müssten eine aktive Rolle darin spielen, ans Licht zu bringen, was geschehen sei, wenn Individuen völlig geheilt werden und eine stabile Gesellschaft aufgebaut werden soll. Er stimmte Barampama und Lapsley zu, dass Heilung auf persönlicher Ebene sehr wichtig sei.
Die Diskussion endete mit einer Fragerunde mit den Zuhörern sowohl über die Bedeutung einer Justiz, die Gerechtigkeit wiederherstellt bzw. vergelte und ausgleicht als auch über die Wichtigkeit von Vergebung. Die Sprecher waren sich einig, dass restorative Gerechtigkeit oft eine nachhaltigere Lösung zur Folge habe als retributive Gerechtigkeit, bei der der Teufelskreis von Opfer und Täter kaum unterbrochen wird.
Sprecher:
Michael Lapsley, Institute for Healing of Memories, eingeladen von "Association des chrétiens pour l’abolition de la torture" (Christen gegen Folter - ACAT)
Daphrose Barampama, Creators of Peace, Initiatives of Change (IofC) International
Gerald Staberock, Weltorganisation gegen Folter
Moderation:
Julie Bernath, Abteilungsleiterin « Dealing with the Past », Swisspeace