1948 - Paul Misraki: Soundtrack für ein neues Deutschland

Von Andrew Stallybrass

03/02/2021
Paul Misraki

 

Deutschland lag in Trümmern. Europa lag in Trümmern. Millionen von Menschen waren getötet, weitere Millionen verwundet und vertrieben worden. Und dann waren da noch jene geistigen Trümmer - tiefe kollektive Traumata, die dringend der Heilung bedurften.

Im Sommer 1948 wurde im schweizerischen Caux eine Musik-Revue mit einer Wanderausstellung und der Broschüre " "Es muss alles anders werden" ins Leben gerufen. Ein schwedischer Papierhersteller, der sich in Caux aufhielt, lieferte das notwendige Material für den Druck von eineinhalb Millionen Exemplaren.

Im Oktober 1948 verliessen Frank Buchman und ein Team von 260 Personen Caux mit einem Bus in Richtung Deutschland. Irène Laure, eine Französin, die im Widerstand gegen die Nazi-Besatzung ihres Landes gekämpft hatte, erzählte: "Wir reisten kreuz und quer durch Deutschland, so wie man mit einem Pflug ein Feld pflügt." Die Tournee wurde als die grösste nicht-militärische Operation in Deutschland nach dem Krieg beschrieben.

 

A travelling photo exhibition is prepared in Caux 1948
Vorbereitung der Wanderausstellung in Caux (1948)

 

Eines der bemerkenswerten Talente, die für dieses innovative und herausfordernde Projekt angeworben wurden, war der bedeutende französische Komponist von Unterhaltungs- und Filmmusik Paul Misraki. Im Laufe seiner über sechzigjährigen Karriere schrieb er die Musik zu 180 Filmen, für Regisseure wie Jean Renoir, Claude Chabrol, Jean-Luc Godard und Orson Welles.

Geboren in Konstantinopel in einer französisch-jüdischen Familie italienischer Abstammung, etablierte er sich in den 1930er Jahren als Jazzpianist, Arrangeur und Autor populärer Lieder. Während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg floh er aus Frankreich und landete in Hollywood.

In Caux komponierte Misraki eine Reihe von Liedern für die Revue, darunter auch die Musik für den Titelsong "The Good Road" zu einem Text des englischen Pfarrers und Dramatikers Alan Thornhill. (Hören Sie den Song "The Good Road" hier.)

Das Foto zeigt Paul Misraki am Dirigentenpult des Orchestre de la Suisse Romande in der Victoria Hall in Genf (der grossen Konzerthalle und dem grossen Orchester) bei der Aufnahme der Tonspur für die Show. Dies was notwendig, weil die Truppe kein volles Symphonieorchester mit nach Deutschland nehmen konnten.

 

Paul Misraki

 

Der spätere Bundestagsabgeordnete Peter Petersen aus Deutschland (siehe 1947) gehörte ebenfalls zur Bühnencrew. Im Chor war auch die 19-jährige Jacqueline Piguet-Koechlin. Sie und ihre Familie waren 1940 gezwungen worden, das Elsass zu verlassen. In einem Büchlein mit Briefen nach Hause an ihre Eltern beschreibt sie in lebhaften Details die Busse, die sich durch die Ruinen einer deutschen Stadt nach der anderen schlängeln. Sie schrieb: "Dies war es, was ich mir gewünscht hatte. Während der Besatzung wollte ich, dass die Deutschen ebenfalls leiden sollten. Als ich mich diesem Unternehmen anschloss und mein Studium um ein Jahr verschob, war ich stolz auf mich, weil ich mich um den besiegten Feind kümmerte. Aber ich hatte keine Ahnung, ich konnte mir nicht vorstellen, so zu leiden. Und ich weinte."

Die Gruppe hielt in elf Wochen 200 öffentliche Versammlungen und Auftritte ab, darunter in zehn der damals elf deutschen Landtage (Länderparlamente). In der Gruppe waren auch zwei französische Juden, von denen einer fünfzehn, der andere zweiundzwanzig Verwandte in den Konzentrationslagern der Nazis verloren hatte.

Der Londoner News Chronicle zitierte einen Beamten der Militärregierung mit den Worten: "Ihr [Initiativen der Veränderung*] habt in zwei Tagen mehr getan, um dem deutschen Volk zu zeigen, was Demokratie bedeutet, als wir in drei Jahren zu tun vermochten."

 

Hören Sie hier eine Aufnahme von 1947/48 des Songs "Es muss alles anders werden"

 
Image
Die Darstellerinnen und Darsteller von "The Good Road" treffen das Publikum hinter der Bühne nach einer Show in Deutschland (1948)

 

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Diese Geschichte ist Teil unserer Serie "75 Jahre der Geschichten" über Einzelpersonen, die durch Caux eine neue Richtung und Inspiration für ihr Leben gefunden haben - eine Geschichte für jedes Jahr von 1946 bis 2021. Wenn Sie eine Geschichte kennen, die sich für diese Serie eignet, leiten Sie Ihre Ideen bitte per E-Mail an John Bond oder Yara Zhgeib. weiter. Wenn Sie mehr über die Anfangsjahre von Initiativen der Veränderung und das Konferenzzentrum in Caux erfahren möchten, klicken Sie bitte hier und besuchen Sie die Plattform For A New World.

 

 

  • * damals bekannt als "Moralische Aufrüstung"
  • Fotos: Initiativen der Veränderung
  • Tonaufnahmen: Initiativen der Veränderung
  • Übersetzung/Korrekturlesung: Maya Fiaux

 

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